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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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war er ihr dankbar. Aber er wußte, daß sie alle kleinen Unstimmigkeiten und Fehler, die er machte, addierte, und irgendwann einmal würde sie ihn unweigerlich darauf ansprechen und eine Erklärung verlangen.
    Nach einer Stunde hatten sie alle Vorkehrungen getroffen, woraufhin sie am Nachmittag nach Oaxaca flogen. Als sie das Hotel betraten, hatte Hilgard plötzlich die Angst, daß der Portier ihn erkennen und mit Namen ansprechen würde, aber das geschah zum Glück nicht. Hilgard und Celia saßen vor dem Abendessen am Swimming-pool und blätterten ihre Reiseführer durch, um die Exkursionen von Oaxaca zu planen – eine Fahrt zu den Ruinen von Monte Albán, eine Reise nach Mitla, ein Besuch des berühmten Samstagmorgenmarktes –, und wieder einmal sah er sich genötigt, Unwissenheit bezüglich eines Ortes zu mimen, den er in Wirklichkeit ausgezeichnet kannte. Er fragte sich, wie überzeugend er war. Das Abendessen nahmen sie in einem vornehmen Basquerestaurant auf dem Balkon ein, von dem aus die große Plaza zu überblicken war, und anschließend gingen sie langsam wieder ins Hotel zurück. Die Nachtluft war mild und aromatisch, Musik wehte zu ihnen herüber. Auf halbem Weg griff Celia nach seiner Hand. Er zwang sich, sie ihr nicht zu entziehen, obwohl er sich schon bei dieser unschuldigen Berührung wie ein arglistiger Betrüger vorkam. Im Hotel schlug er vor, noch kurz in die Bar zu gehen und einen Schlummertrunk einzunehmen, doch sie lächelte nur sanft und sagte: »Es ist schon spät. Gehen wir nach oben.« Zum Abendessen hatten sie eine Karaffe Sangria und eine Flasche mexikanischen Rotwein getrunken, und nun fühlte er sich leicht und beschwingt, allerdings nicht so sehr, daß er sich nicht vor der bevorstehenden Konfrontation gefürchtet hätte. Auf dem Zwischenstock verweilte er einen Augenblick und sah zum glitzernden Swimmingpool hinüber. Im Mondschein sahen die purpurnen Stauden der Bourgainvillahecken fast schwarz aus. Überall auf dem Rasen konnte man große Hibiskusblüten sehen, und aus einem Gestrüpp bizarrer Sukkulenten ragten seltsam riechende Blüten hervor. Celia berührte seinen Ellbogen. »Komm«, sagte sie. Er nickte. Sie gingen aufs Zimmer. Sie schaltete ein Nachttischlämpchen ein und zog sich aus. Hilgard sah ihr in die Augen. Eine rasche Folge von Emotionen huschte über ihr Gesicht: Leidenschaft, Verlangen, Zuneigung, Verwirrung. Sie spürte, daß etwas nicht stimmte. Versuch es, dachte er verzweifelt. Spiel deine Rolle. Los doch! Er strich mit der Hand zaghaft an ihrem Schenkel entlang. Nein.
    »Ted?« sagte sie. »Ted, was ist los?«
    »Ich kann es nicht erklären. Ich glaube, ich verliere den Verstand.«
    »Du bist so seltsam. Seit gestern.«
    Er atmete tief durch. »Ich habe dich am gestrigen Tag zum ersten Mal in meinem Leben gesehen.«
    »Ted?«
    »Es stimmt. Ich bin nicht verheiratet. Ich führe eine Galerie in der 60th nahe der Second. Ich kam letzten Dienstag allein nach Mexico City, und ich wohnte im Presidente.« .
    »Wovon redest du, Ted?«
    »Als ich gestern in Teotihuacan am Tempel vorüberging, da spürte ich ein eigentümliches Gefühl in der Stirn, und seitdem scheine ich jemand anders zu sein. Tut mir leid, Celia. Klinge ich wie ein Verrückter? Ich glaube nicht. Aber ich weiß, daß das, was ich sage, auch keinen rechten Sinn ergibt.«
    »Wir sind seit neun Jahren verheiratet. Wir sind Partner in einer Marktforschungsfirma, Hilgard & Hilgard, zwischen 57th und Sixth.«
    »Marktforschung. Wie seltsam. Haben wir Kinder?«
    »Nein. Wir wohnen in einer Wohnung in der 85th, und im Sommer fahren wir … oh, Ted! Ted?«
    »Es tut mir so leid, Celia.«
    Ihre Augen, die im Mondlicht glänzten, waren weit aufgerissen, weiß und entsetzt. Säuerlicher Angstschweißgeruch hing in der Luft, seiner, ihrer. »Kannst du dich gar nicht an dein früheres Leben erinnern?« fragte sie heiser. »Kein bißchen? Im Januar waren wir in San Francisco. Wir wohnten im Stanford Court, es regnete die ganze Zeit, und du hast in einem kleinen Laden gegenüber vom Ghirardelli Square drei Elfenbeinschnitzereien gekauft. Letzten Monat bekamen wir die Verträge für den Fall Bryce, und daraufhin hast du gesagt: ›Fein, feiern wir doch, indem wir nach Mexiko fliegen, wir wollten ja schon immer einmal nach Mexiko, und nun ist die Zeit günstig.‹ Im April haben wir einen Großauftrag in Atlanta, und im Mai … Ted? Nichts, Ted?«
    »Nichts. Nur Leere.«
    »Wie schrecklich. Halt mich fest,

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