Willkommen in der Wirklichkeit
Und doch … doch …
Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Seine Finger begannen zu zittern, und seine Füße fühlten sich wie gefrorene Lehmschollen an. Er ging benommen auf den Volkswagen zu. Der Fahrer, der ihm die Tür offenhielt, bedachte ihn mit jenem geringschätzigen Blick, den er, wie Hilgard meinte, für alle Gringos parat hatte, die schon um die Mittagszeit so betrunken waren, daß sie sich nicht mehr daran erinnern konnten, verheiratet zu sein. Aber Hilgard war nicht betrunken.
Die Frau unterhielt sich entspannt mit ihm, während sie nach Mexico City zurückfuhren. Anscheinend planten sie, heute nachmittag das Anthropologische Museum im Chapultepec Park zu besuchen, und morgen wollten sie entweder nach Cuernavaca oder Guadalajara weiter, was davon abhing, wer von ihnen beiden eine unbedeutende Mißstimmung beseitigte, die anscheinend schon einige Tage zwischen ihnen herrschte. Hilgard überstand die Unterhaltung, indem er ausweichende und vieldeutige Antworten gab, um sich schließlich mit vorgetäuschter Müdigkeit ganz zurückzuziehen, was er auf die grelle Sonne zurückführte. Nicht lange danach griffen graue Smogfinger nach ihnen. Sie hatten die Außenbezirke von Mexico City erreicht. Der Fahrer fuhr im vergleichsweise spärlichen Sonntagnachmittagsverkehr ungezwungen den breiten Paseo de la Reforma hinab, bog schließlich scharf in den Distrikt Zona Rosa ein und lieferte sie vor der schlanken, schwarz-weißen Fassade des Hotel Century ab. »Gib ihm ein ordentliches Trinkgeld, Liebling«, bat ihn die Frau. »Wir haben ihn länger aufgehalten, als eigentlich ausgemacht war.«
Hilgard hielt dem finster blickenden Mann einige Tausend-Peso-Scheine hin, winkte ab, als dieser herausgeben wollte, und folgte der Frau ins Hotel. In der kleinen Empfangshalle sagte sie: »Hol den Schlüssel, ja? Ich werde derweil nach dem Fahrstuhl läuten.« Hilgard ging zur Rezeption und sah den Portier unschlüssig an. »Guten Tag, Mr. Hilgard«, begrüßte ihn dieser in flüssigem Englisch. »Haben Ihnen die Pyramiden gefallen?« Und dann reichte er ihm unaufgefordert den Schlüssel zum Zimmer 177.
Das kann alles gar nicht sein, redete Hilgard sich ein und dachte an sein komfortables Zimmer im siebten Stock des vornehmen Hotel Presidente. Das ist ein Traum. Eine Halluzination. Er trat zu der blonden Frau im Fahrstuhl, und diese drückte den Knopf mit der Nummer 17, woraufhin der Fahrstuhl zu steigen begann. Zwischen dem zehnten und elften Stock verlangsamte er einen Sekundenbruchteil übelkeitserregend, da der Motor anscheinend aussetzte. Zimmer 177 war kompakt und gemütlich, es besaß ein Doppelbett und eine kleine Bareinheit voller kleiner Flaschen mit Alkoholika, Mixturen und dergleichen. Die Frau nahm einen Brandy und sagte: »Soll ich dir einen Rum einschenken, Ted?«
»Nein. Danke.« Er ging im Zimmer umher. Im ganzen Bad waren Frauenkleinigkeiten verstreut, Make-up, Lotionen und was nicht noch alles. Zusammenpassendes Gepäck von ihm und ihr im Schrank. Dort hingen auch ordentlich aufgereiht ein Herrenjackett und mehrere Hemden, nicht seine, aber zugegeben von der Machart, der er auch den Vorzug gegeben haben würde. Auf dem Nachttisch lag ein Buch, der neueste Roman von Updike. Er hatte ihn vor ein paar Monaten gelesen, allerdings in einer anderen Ausgabe, denn diese hier hatte einen roten Schutzumschlag, während er seiner Erinnerung zufolge blau gewesen war.
»Ich werde kurz duschen«, sagte sie. »Dann gehen wir etwas essen und anschließend ins Museum, ja?«
Er sah auf. Sie ging an ihm vorbei zum Bad, nackt. Er erhaschte einen überraschenden Blick auf kleine, runde Brüste und stramme Gesäßbacken, dann wurde die Tür geschlossen. Hilgard wartete, bis er das Wasser rauschen hörte, dann nahm er ihre Brieftasche aus dem Handtäschchen. In ihr fand er die üblichen Kreditkarten, einige Travellerschecks, ein dickes Bündel abgegriffener mexikanischer Banknoten. Und einen Führerschein: Celia Hilgard, 36 Jahre alt, einen Meter zweiundsechzig, blondes Haar, blaue Augen, 61 Kilo, verheiratet. Verheiratet! Eine Adresse in der East 85th Street. Eine Karte vorne in der Brieftasche informierte, daß bei einem Unfall Theodore Hilgard entweder in der East 85th Street oder in seinem Büro bei Hilgard & Hilgard in der West 57th Street benachrichtigt werden sollte. Hilgard studierte die Karte, als wäre sie in Sanskrit geschrieben. Seine Wohnung befand sich in der East 62nd Street, sein Arbeitsplatz
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