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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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meines homöostatischen Apartments. Meines ehemaligen Apartments«, fügte er hinzu. »Es hat mir gekündigt. Aber unter diesen Umständen wäre ich ohnehin keine Minute länger dort geblieben.«
    Der Schwebewagen bockte; offenbar war der Autopilot von dieser Eröffnung schockiert. »Aber wie ist das möglich? Wenn Sie sagen, daß die Anschuldigungen Ihrer Frau völlig aus der Luft gegriffen sind, dann muß Ihr Apartment lügen, aber KI-Systeme können nicht lügen. Jeder weiß das! Ist es vielleicht möglich, daß Ihre Frau doch die Wahrheit …?«
    »Nein. Sie lügt. Genau wie dieses verfluchte Apartment.« Doch Valentin wußte, daß der Autopilot recht hatte. Kl-Systeme konnten nicht lügen. Trotzdem sagte es in diesem Fall die Unwahrheit. Ein Paradoxon. Ein beängstigendes Paradoxon. Er brauchte den Rat eines Experten. Dringend.
    »Verbinde mich mit Saul Schomon«, befahl er dem Schwebewagen.
    Er wartete ungeduldig. Kurze Zeit später wurde der Bildschirm des Autovidfons hell, und Schomons scharfgeschnittenes, raubvogelhaftes Gesicht erschien. Als er Valentin sah, verdüsterte sich seine Miene; aus seinem Blick sprach Besorgnis.
    »Hallo, Valentin«, sagte er. »Ich habe Ihren Anruf erwartet. Sie stecken in der Klemme.«
    Valentin schluckte. »Hat der Robadvokat …?«
    »Der alte Schuyler persönlich rief mich soeben an«, erklärte Schomon. Er schnitt eine Grimasse. »Wir haben zusammen an der Harvard-Universität studiert; bedauerlicherweise kann ich nicht behaupten, daß wir Freunde gewesen sind. Ich fürchte, er wird Ihren Fall benutzen, um eine alte Rechnung zu begleichen, die zwischen ihm und mir noch offen steht.« Der Justitiar seufzte. »Vielleicht sollten Sie sich durch einen anderen Advokaten vertreten lassen. Ich kenne da eine gute Kanzlei, die …«
    »Nein«, wehrte Valentin ab. »Ich will Sie. Ich vertraue Ihnen.«
    Schomon zuckte die Schultern. »Wie Sie meinen. Aber Sie müssen damit rechnen, daß uns der alte Schuyler Schwierigkeiten machen wird, große Schwierigkeiten. Er ist ein schlauer Fuchs.«
    »Aber die Anschuldigungen meiner Frau sind absurd!« Valentin gestikulierte. »Perverse Handlungen … Ich weiß nicht einmal, was sie damit meint. Und was die Höhe des Schmerzensgeldes betrifft – verdammt, Christina weiß, daß ich nicht soviel Geld habe.«
    Schomon seufzte erneut. »Ihre Frau ist deutsche Staatsangehörige, nicht wahr?«
    »Ja, sicher«, nickte Valentin. »Aber was hat das …«
    »Und Ihr Ehevertrag wurde nach deutschem Recht geschlossen, nicht wahr?«
    »Es war Christinas Wunsch. Für den Fall, daß wir Kinder bekommen. Sie wollte, daß unsere Kinder auch die deutsche Staatsangehörigkeit …« Er verstummte. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß dies das erste und einzige Mal gewesen war, daß Christina von gemeinsamen Kindern gesprochen hatte. Ein Vorwand, erkannte er. Es muß ein Vorwand gewesen sein. Aber das bedeutet, dachte er, daß sie von Anfang an eine Scheidung gewollt hat. Eine Scheidung nach deutschem Recht … Einem Recht, das auf diesen abstrusen, unbegreiflichen teutonischen Moralvorstellungen des Post-Aids-Zeitalters beruht. Gott, die ganze Welt weiß über die aberwitzige Bevölkerungspolitik des Wiedervereinigten Deutschlands Bescheid, aber ich habe keinen einzigen Gedanken daran verschwendet. Weil ich Christina vertraut habe. Weil ich dachte – mir sicher war –, daß sie anders ist als die anderen Deutschen. Dieses genetische Lotteriespiel, das Berlin Familienplanung nennt: Seid fruchtbar und mehret euch … und mischt eure Gene. Die Politik der völkischen Planierraupe. Die Umkehrung der nazistischen Rassenideologie. Statt die Herrenrasse aus dem Volk herauszumendeln, wird das ganze Volk mit den Genen des nordischen Typus geimpft …
    Schomon raschelte mit den Papieren, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. »Ich habe hier die Telekopie der Klage«, sagte er mit sorgenvoll gefurchter Stirn. »Stimmt es, daß Sie Ihrer Frau treu gewesen sind? Ich meine, daß Sie während Ihrer Ehe keine sexuellen Beziehungen mit anderen Frauen gehabt haben?«
    »Wie?« Valentin sah Schomon verwirrt an. »Natürlich bin ich Christina treu gewesen. Aber …«
    »Und stimmt es«, fuhr Schomon unbeirrt fort, »daß Sie Ihrer Frau gegenüber wiederholt erklärt haben, nur mit ihr sexuelle Beziehungen zu unterhalten?«
    Valentins Verwirrung wuchs. »Ich habe ihr gesagt, daß ich sie liebe und daß ich an anderen Frauen nicht interessiert bin, wenn es das ist, was Sie meinen.

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