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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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der lustlos einige Anfragen in die Konsole eingab. Bis auf Dr. Janosz war die Servicezone leer, und selbst Janosz war bloß deshalb anwesend, weil nur menschliche Mediziner einen Totenschein ausstellen durften. Nach Janosz’ Gesichtsausdruck zu urteilen, schien er zu spüren, wie überflüssig er war.
    Stewart Croft schob sich an Valentin vorbei und trat an die Glasscheibe, hinter der Hiram P. Astor in der sterilen Atmosphäre seiner Sterbesuite lag.
    »Wie geht es ihm?« fragte er heiser.
    »Er liegt im Sterben.« Janosz sah nicht vom Terminal auf. »Wir halten ihn künstlich am Leben. Rechtlich gesehen steht dem Transfer damit nichts mehr im Wege.«
    Valentin vermied es, den verkrümmten, gebrechlichen, faltigen Körper in der Eisernen Gebärmutter anzusehen. Als Reinkarnaut hatte er sich längst daran gewöhnen müssen, aber der Anblick Sterbender bereitete ihm immer noch Depressionen. Er hatte gehofft, Bernstein in der Sterbesuite anzutreffen; es wunderte ihn, daß der Direktor des Instituts in der Sterbestunde eines so einflußreichen Mannes wie Hiram P. Astor nicht anwesend war.
    »Direktor Bernstein läßt sich entschuldigen«, sagte Dr. Janosz in diesem Moment. »Ein unaufschiebbarer Termin. Er bittet um Ihr Verständnis.«
    Stewart Croft drehte sich um. »Ich nehme die Entschuldigung zur Kenntnis«, schnarrte er. »Mr. Astor wird sich zu gegebener Zeit mit dieser Mißachtung seiner Person befassen.« Der Arzt wollte etwas einwenden, aber Croft brachte ihn mit einer barschen Geste zum Schweigen. »Verschwenden wir keine Zeit mit überflüssigen Diskussionen. Mr. Astor wünscht, diese … hm … Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.« Sein hyänenhaftes Gesicht verzog sich zu einem erstarrten Lächeln. »Ich persönlich bedaure Bernsteins Abwesenheit nicht. Es ist schon schlimm genug, daß Mr. Astor in einem jüdisch geführten Institut die letzte Reise antritt. Als Christ sollte man …«
    »Der Tod ist für alle gleich«, sagte Stella mit erzwungener Ruhe. »Ob nun Jude, Christ oder Mohammedaner. Auf alle wartet die Wiedergeburt.«
    »Ich kenne diese atheistischen Argumente«, erwiderte Croft. »Aber in der Offenbarung des Paulus Lynk steht, daß nur die wahren Gläubigen den Himmel erreichen, während die Sünder zur Wiedergeburt verdammt sind. Kein Wunder, daß die Zahl der Christen auf Erden abnimmt und sich die Juden, Buddhisten, Mohammedaner und Atheisten ins Unermeßliche vermehren. Gibt es einen deutlicheren Beweis dafür, daß die Reinkarnation keine Gnade, sondern eine Strafe ist?«
    Valentin hob die Brauen. »Sie sind Anhänger der Lynkanischen Apostolischen Lehre?«
    »Ich bin Täufling der Kirche des Heiligen Paulus Lynk«, sagte Stewart Croft mit einem Nicken. »Mir wurde die Ehre zuteil, dem Letzten Propheten des Herrn persönlich zu begegnen.« Er fügte hinzu: »Paulus Lynk brachte seine Offenbarungen im Hause meines Vaters zu Papier. Von dort aus organisierte er auch seinen Kreuzzug gegen das Unzüchtige Amerika.«
    »Er meint damit«, warf Dr. Janosz bissig ein, »daß die Lynkaner unter anderem Beverly Hills niedergebrannt haben.«
    »Aber Lynk war Reinkarnaut«, sagte Valentin verwirrt. »Er muß gewußt haben, daß die Wiedergeburt zur psychischen Evolution gehört, daß sie keine Sünde ist, sondern einer von vielen Schritten zum Nirwana.« Zur Versiegung der Gier, Versiegung des Hasses und Versiegung der Verblendung, wie Buddha es ausgedrückt hatte. Die endgültige, restlose Befreiung von der Wiedergeburt. Jeder Reinkarnaut wußte es. Ein Einsatz auf der anderen Seite genügte, um die Wahrheit zu erkennen. »Lynk muß es gewußt haben«, bekräftigte Valentin.
    Janosz lachte humorlos. »Lynk hat auch gewußt, daß es ein Verbrechen ist, unschuldige Menschen zu verfolgen. Trotzdem haben die Lynkaner Tausende von Männern, Frauen und Kindern auf den Scheiterhaufen gebracht.«
    »Sünder, die sich der Unzucht hingegeben haben und dafür mit der Geißel Gottes gestraft wurden«, sagte Croft glattzüngig. »Die Gerechten jedoch wurden von Gott geschützt. Selbst auf dem Höhepunkt der Seuche gab es in unserer großen Gemeinde keinen einzigen Aidsfall.«
    »Weil die Lynkaner ihre Infizierten getötet haben, ohne sie den Behörden zu melden«, konterte der Arzt.
    »Das ist …« Croft gestikulierte empört. »Eine Verleumdung! Eine ungeheuerliche Verleumdung. Ich werde …«
    »Das reicht, Doktor«, sagte Stella scharf. »Wir haben Wichtigeres zu tun.«
    Janosz

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