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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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befestigte an Valentins Kopfhaut die Elektroden, die seine und Astors Gehirnströme synchronisieren würden. Dann trat Janosz an das Kontrollbord des Robodocs. »Alles in Ordnung, Doc?« fragte Valentin.
    Janos kehrte zu ihm zurück. »Ihr Kreislauf macht mir Sorgen. Und Ihre Leberwerte … Sie trinken zuviel, Valentin. Alkohol ist keine Lösung.« Er schwieg für einen Moment. »Die Frauen kommen und gehen. Sie sollten Christina vergessen. Sie ist es nicht wert, daß Sie …«
    »Schon gut, Doc«, unterbrach Valentin. Er lächelte matt. »Ich komme schon darüber hinweg.«
    »Wir werden Sie diesmal früher zurückholen müssen. Sie haben in der letzten Zeit zu viele Reisen gemacht. Ihr Organismus ist überanstrengt. Klinisch tot zu sein, ist keine Lappalie.«
    »Wieviel Zeit habe ich?«
    »Ich gebe Ihnen fünf Minuten. Reicht das?«
    Valentin zuckte die Schultern. »Es muß reichen.«
    »Gute Reise«, sagte Dr. Janosz. Er zwinkerte Valentin aufmunternd zu und verschwand aus seinem Blickfeld. Sekunden später fiel die Glastür mit einem saugenden Geräusch hinter ihm ins Schloß. Valentin war allein. Allein mit dem Sterbenden, allein mit seiner Angst.
    Er hatte vor jedem Transfer Angst.
    Es war nicht der Tod, den er fürchtete; er war schon zu oft gestorben, zu oft klinisch tot gewesen, um mehr als Langeweile zu empfinden. Aber er fürchtete sich vor dem, was ihn auf der anderen Seite erwartete. Vor dem Sturz in die raumlosen, zeitlosen Tiefen des Nichtseins; den verwirrten, ängstlichen Rufen der Seelen, die wie Regentropfen durch das Grau des Intervalls stürzten, dem Meer des Lebens entgegen, aus dem der Tod sie geschöpft hatte; und vor dem Ding, dem Etwas hinter dem Nichts, der Kraft, die über den schwachen Kräften von Leben und Tod, Raum und Zeit, Energie und Materie stand. Die Schöpfung selbst in ihrer unauslotbaren Tiefe, ihrer unermeßlichen Höhe.
    Es ist nicht richtig, was wir tun, dachte Valentin. Nichts von all dem ist richtig. Hybris. Wir rühren an den letzten Dingen, wir benutzen sie, machen sie zu Werkzeugen unserer großen, rücksichtslosen Wissenschaft, aber wir verstehen sie nicht.
    Ein Summer ertönte.
    Das Signal. Der Robodoc hatte das Lebenserhaltungssystem der Eisernen Gebärmutter abgestellt. Der Tod von Hiram P. Astor war nur noch eine Frage von wenigen Minuten.
    Valentin schloß die Augen und verdrängte die grüblerischen Gedanken. Er war Reinkarnaut. Er hatte gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und während er darauf wartete, daß ihm der Robodoc über die Armkanüle das tödliche Gift injizierte, ging ihm durch den Sinn, welche Ironie es doch war, daß ein Reinkarnaut ebenfalls sterben mußte, wenn er einem Toten den Weg ins nächste Leben weisen wollte.
    Der Tod kam schnell und schmerzlos.
    Valentin starb.

 
4
     
    Wie immer war die Rückkehr ins Leben mit Schmerzen verbunden. Sein Kopf dröhnte, seine Muskeln waren verkrampft, und in seinen Eingeweiden wühlten glühende Messer. Er keuchte unter der Sauerstoffmaske, atmete dann tief und regelmäßig, wie er es gelernt hatte, und spürte, wie langsam die Kälte aus seinen Gliedern wich.
    Im Hintergrund hörte er undeutliche Stimmen; sie schienen näherzukommen, sich wieder zu entfernen. Schließlich schälten sich verständliche Worte heraus.
    »Wie fühlen Sie sich?« Dr. Janosz. »Alles in Ordnung, Valentin? Können Sie mich hören, Valentin?«
    Er öffnete die Augen. Es kostete Kraft. Die Lider waren bleiern, und er wünschte, schlafen zu können. Aber er durfte nicht schlafen. Noch nicht. Die Erinnerungen an das, was er auf der anderen Seite gesehen hatte, waren flüchtig. Ihm blieben nur wenige Minuten.
    »Nehmen Sie ihm die Sauerstoffmaske ab.« Eine andere Stimme. Stella Tschun.
    Über sich sah er verschwommene Flecke. Gesichter. Stella, der Arzt, Stewart Croft. Janosz nahm ihm die Maske ab.
    Die Schmerzen waren noch immer da, aber er kämpfte gegen sie an. »Mountain Springs«, krächzte er. »Am Fuß der Rockies. In der Nähe der kanadischen Grenze.« Er durchforschte die Erinnerungsbilder; schon verblaßten sie, doch einige Einzelheiten waren noch deutlich genug. »Eine Farm. Das Haus ist weißgestrichen. Auf der Veranda eine Frau. Eine Weiße. Ende Zwanzig. Haselnußbraunes Haar. Ein grünes Kleid. Sie sitzt in einem Schaukelstuhl und sieht … sieht zur Landstraße jenseits der Felder hinüber. Auf der Straße ein Lieferwagen.«
    Jemand – Stewart Croft – stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Eine

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