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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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verschränkte die Arme. »Ich verstehe trotzdem nicht, warum sich Croft an den Vorbereitungen für eine gesteuerte Wiedergeburt beteiligt, wenn er alle Wiedergeborenen für Sünder hält, die zu einem Leben auf der Erde verdammt sind. Ich würde zu gern wissen, was Mr. Astor davon hält.«
    »Ich bin nicht hier in meiner Eigenschaft als Täufling der Kirche des Heiligen Paulus Lynk, sondern als Generalbevollmächtigter der American Space Industries«, erklärte Stewart Croft. »Und vor allem bin ich nicht hier, um mit einem Atheisten über den wahren Glauben zu diskutieren.«
    Stella sah hilfesuchend zu Valentin.
    Valentin räusperte sich. »Ich denke, es ist besser, wenn wir uns jetzt an die Arbeit machen. Hast du die Papiere?«
    Sie reichte ihm eine Dokumentenmappe; er blätterte sie flüchtig durch – Reinkarnationsvertrag, Testament, Vormundschaftserklärung, Totenschein – und gab sie dann an Croft weiter. Murmelnd zeichnete der Generalbevollmächtigte die Papiere ab.
    »Vielleicht sollten wir den Transfer verschieben«, sagte Stella zögernd. »Ich meine, bis du …« Sie verstummte.
    Er wußte, was sie meinte. Sie befürchtete, daß ihn die Trennung von Christina – und vor allem der Gedanke an die Schmerzensgeldklage – nervlich zu sehr belastete. Daß er nicht in der Lage war, den Transfer vorzunehmen.
    Er straffte sich und sagte schroffer als beabsichtigt: »Natürlich bin ich bereit. Wie ist Astors psychische Verfassung?«
    »Das Todestrauma ist weitgehend abgebaut, der seelische Zustand stabil. Wir haben den Klienten in den üblichen prämortalen Meditationstechniken unterwiesen, und die Ergebnisse sind zufriedenstellend. Das einzige, was mir Sorgen macht, ist sein starker Lebenswille.« Sie zuckte die Schultern. »Aber selbst im schlechtesten Fall dürfte ein heftiger Todeskampf den Transfer nur um wenige Minuten verzögern.«
    Valentin nickte und wandte sich an Dr. Janosz. »Sobald ich mich eingeklinkt habe, schalten Sie den Robodoc ab. Ich möchte den Transfer so weit es geht synchronisieren. Und stoppen Sie die Morphinzufuhr.«
    »Bei Krebs im Endstadium?« Der Arzt schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ohne Morphin werden ihn die Schmerzen …«
    »Er wird nicht genug Zeit haben, um Schmerzen zu spüren«, unterbrach Valentin. »Und Morphin blockiert die Loslösung des Astralleibs vom physischen Körper. Ohne Morphin habe ich es leichter, ihm den Weg zu weisen.«
    Er drehte sich um und sah fast widerwillig durch die trennende Glasscheibe zu dem alten, fötenhaft verkrümmten Mann in der Eisernen Gebärmutter, der wie ein vertrocknetes Insekt im Spinnennetz der Infusionsschläuche, Elektroden und Sensoren eingesponnen war. Hiram P. Astors runzliges, eingefallenes Gesicht war entspannt. Friedlich. Er sah aus, als schliefe er. Und in wenigen Minuten, dachte Valentin, wird dieser alte, verbrauchte, nutzlose Körper für immer entschlafen. Aber Hiram P. Astor – oder das, was Hiram P. Astor ausmachte, seine Persönlichkeit, sein Ego, seine unsterbliche Seele – würde weiterleben. In einem neuen, jungen Körper, im Körper eines Neugeborenen, der vor Gott und dem Gesetz Hiram P. Astor war mit allen Rechten und Pflichten, Herr über ein gigantisches Vermögen und Amerikas größten Konzern, dem einzigen ernstzunehmenden Konkurrenten für die mächtigen, skrupellosen VEB-Trusts des Wiedervereinigten Deutschlands.
    Zusammen mit Dr. Janosz näherte er sich der Glastür zur Sterbesuite.
    »Denken Sie an den Vertrag«, rief ihm Stewart Croft nach. »Es muß eine weiße Mutter sein. Eine Familie im Mittelwesten. Gottesfürchtige Farmer. Aufrechte Amerikaner. Das ist Mr. Astors ausdrücklicher Wunsch. Wenn Sie versagen … wenn Mr. Astor als Nigger wiedergeboren wird … oder gar irgendwo im Ausland …«
    Die Glastür schlug hinter ihnen zu und sperrte Crofts schnarrende, drohende Stimme aus. In der Sterbesuite roch es nach Desinfektionsmitteln und den säuerlichen Ausdünstungen eines siechen Körpers. Die Eiserne Gebärmutter brummte geschäftig vor sich hin. Lichter huschten über das interne Kontrollbord des Robodocs.
    Es war wie immer.
    Routine. Wie der Sterbende in der gepolsterten Wanne, im Netzwerk des Lebenserhaltungssystems.
    Valentin atmete tief durch.
    »Sind Sie bereit?« fragte der Arzt.
    »Fangen wir an«, murmelte Valentin. Mechanisch zog er sich aus und legte sich in die gepolsterte Zwillingsbox der Gebärmutter. Mit geübten Bewegungen schloß Dr. Janosz die Kanülen und Sensoren an und

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