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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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einer fremden Sprache unterhalten. Diese Männer sind Araber, nicht wahr, Mr. Valentin?«
    »Das geht dich nichts an«, sagte Valentin schroff. »Vergiß es.«
    »Es tut mir leid«, erklärte der Autopilot, während sich die Punkte am Himmel in Maschinen verwandelten, in gepanzerte Düsenkopter mit flammenden Brennern und stacheligen Waffenaufbauten, in Kampfmaschinen, die den Unterschlupf der Palästinenser einkreisten und ohne Vorwarnung aus allen Bordkanonen zu schießen begannen, bis die Wolkenkratzerruine lichterloh brannte und in tausend Bruchstücke zerbarst. »Es tut mir leid, Mr. Valentin«, wiederholte der Autopilot, »aber ich bin ein Importwagen, ein deutscher Wagen aus den homöostatischen Autofabriken von Daimler-Benz in Untertürkheim. Und wir deutschen Wagen sind loyal. Wir sind darauf programmiert, wissen Sie. Wir müssen die Anweisungen jeder deutschen Dienststelle ausführen.«
    Valentin saß da, stumm, hilflos und verfolgte, wie die Düsenkopter ihr Zerstörungswerk abschlossen und dann seinen Wagen zurück zum Institut für Reinkarnautik eskortierten.
    Der Autopilot summte zufrieden vor sich hin.

 
7
     
    »Sie müssen verstehen«, sagte Karl von Hutten, ein graues Gespenst mit brennenden Augen, die Valentin so sehr an Mohammeds Augen erinnerten: Augen, die nur die großen Dinge sahen, historische Prozesse, das Schicksal von Staaten, Völkern, bedeutenden Geschlechtern, Zeitabläufe, in Generationen gerechnet, und die blind für das Schicksal einzelner Menschen waren. »Sie müssen verstehen, daß es Dinge gibt, die getan werden müssen, um ihrer selbst willen, ganz gleich, wie hoch der Preis ist, ganz gleich, wieviel Opfer es kostet. Sie müssen verstehen, Mr. Valentin, daß wir eine Aufgabe vor der Geschichte haben, daß nur die Geschichte über unsere Taten richten kann, daß wir keine andere Wahl haben, als unsere Pflicht zu erfüllen. Denn die Pflicht, Mr. Valentin, ist mehr als nur ein Prinzip. Die Pflicht ist der Kern des deutschen Wesens.«
    Karl von Hutten sprach fließend Englisch, mit hartem deutschen Akzent. Zusammengesunken saß er in seinem Rollstuhl, vom Tod gezeichnet, aber nicht bereit, zu sterben. Noch nicht.
    »Gehört zur Pflicht auch kaltblütiger Massenmord?« fragte Valentin. »Die Palästinenser hatten nicht einmal die Chance, sich zu ergeben.«
    »Kommen Sie, Valentin, kommen Sie!« Benjamin Bernstein, der Direktor des Instituts für Reinkarnautik, humpelte hinter seinem Schreibtisch hervor, gestikulierte, klopfte mit den Fingerknöcheln gegen seine altmodische Beinprothese, die er wie eine Tapferkeitsmedaille trug, ein Andenken an den israelisch-palästinensischen Krieg, an die blutigen Kämpfe in den Straßen von Tel Aviv. »Es gab keine Alternative. Wir mußten es tun. Glauben Sie mir. Wir kennen diese Leute, ihren Nationalismus, ihren islamischen Fanatismus. Wir wissen, wozu sie fähig sind. Diese Terroristen wollten das Institut mit einer nuklearbestückten Kurzstreckenrakete beschießen. Hätten wir nicht ohne Vorwarnung zugeschlagen, wären wir jetzt alle tot.«
    »Aber Sie hätten …«
    »Hören Sie auf!« schnarrte Bernstein mit gerötetem Gesicht. »Sie verstehen das nicht. Sie können das nicht verstehen. Diese Leute führen seit der Gründung Israels Krieg gegen uns. Sie wollen uns vernichten, auslöschen, ausradieren. Aber wir sind keine Lämmer, die sich widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen. Wir haben gelernt, wie man kämpft, wie man siegt. Wir wollen den Frieden, aber wer uns den Krieg erklärt, wird zerschmettert. Es gibt keine Alternative. Nicht nach Auschwitz, Dachau und Buchenwald.«
    Nein, dachte Valentin, es gibt keine Alternative, nicht für dich, für keinen Juden. Bernstein hatte recht, auch wenn er im Unrecht war. Es war eine ausweglose Situation. Der Holocaust lag hundert Jahre zurück, doch die sechs Millionen jüdischer Opfer Nazi-Deutschlands fanden keine Ruhe. Die Konzentrationslager, die Gaskammern, Krematorien und Leichenberge – sie existierten noch immer. Nicht in der materiellen Welt, aber in der Welt der Archetypen, am Grund der jüdischen Seele, wo die Zeit anderen Gesetzen unterlag und ein Jahrhundert nicht länger als ein Lidschlag dauerte. Wenn Bernstein sprach, dann sprachen aus ihm die sechs Millionen Toten, ihre Angst, ihr Haß und ihre Entschlossenheit, eine Wiederholung des Holocaust um jeden Preis zu verhindern. Und so auf den Genozid fixiert, konnte kein Jude die Welt so sehen, wie sie wirklich war. Für die

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