Willkommen in der Wirklichkeit
Mohammed. »Aber wir wissen, daß der Plan ohne Ihre Mitarbeit nicht durchführbar ist. Und wir wissen, daß der Erfolg dieses Plans das Ende der palästinensischen Nation bedeuten wird.« Er gestikulierte, die Augen fiebrig glühend, die Augen in die Ferne gerichtet, die Vergangenheit, in die elenden Flüchtlingslager im Westjordanland, wo der Haß so heiß war wie die Sonne am Himmel. »Stellen Sie sich vor, Mr. Valentin, stellen Sie sich ein Israel mit sechs Millionen zusätzlichen Bürgern vor, sechs Millionen europäischen Juden, viele davon ausgebildete Wissenschaftler, Techniker, Ingenieure … Die Zionisten haben uns Palästinensern nach dem Zweiten Weltkrieg das Land gestohlen. Sie haben uns aus unserer Heimat vertrieben und die Zurückgebliebenen in Bürger zweiter Klasse verwandelt. Sie haben uns unterdrückt, terrorisiert, getötet. Unser Kampf für einen eigenen Staat hat über ein halbes Jahrhundert gedauert. Und die Islamische Republik Palästina existiert nur, weil die Zionisten begriffen, zähneknirschend akzeptieren mußten, daß sie nur eine Lache im arabischen Meer sind. Daß sie untergehen mußten, wenn sie nicht nachgaben. Daß sie auf die Hilfe der Welt – und vor allem des Wiedervereinigten Deutschlands – für ihren Zionistenstaat nur zählen konnten, wenn sie uns Palästinensern das Existenzrecht in einem eigenen Staat zugestanden. Aber stellen Sie sich vor, wie die Zionisten gehandelt hätten, wenn sie stärker und zahlreicher gewesen wären … wenn Israel sechs Millionen zusätzliche Bürger gehabt hätte … Sie hätten nicht nachgegeben. Niemals! Sie hätten noch mehr Land gestohlen und noch mehr palästinensische Mütter und Kinder umgebracht. Der Holocaust an den europäischen Juden hat den Holocaust am palästinensischen Volk verhindert. Das ist die Wahrheit.«
Die Wahrheit? dachte Valentin. Aber was ist mit dem Terror, den ihr über Israel gebracht habt? Was ist mit euren Schwüren, die Zionisten ins Meer zu treiben, den Staat Israel zu vernichten? Was ist mit eurem Haß, der keine Versöhnung zuläßt?
Aber er sprach seine Gedanken nicht laut aus. Es war sinnlos, mit Fanatikern zu diskutieren.
»Karl von Huttens Zeitexperiment darf nicht gelingen«, bekräftigte Mohammed. »Es wäre das Ende der palästinensischen Nation, des palästinensischen Volkes.«
»Also? Was haben Sie vor?« fragte Valentin ausdruckslos. »Werden Sie mich töten? Oder nach Palästina entführen? Um mich daran zu hindern, Karl von Hutten zu helfen?« Um, fügte er in Gedanken hinzu, mich daran zu hindern, Christina zurückzugewinnen.
»Wir sind keine Mörder. Wir sind keine Kidnapper. Wir manipulieren die Menschen nicht. Aber wir würden all das tun – und noch mehr, Mr. Valentin, noch sehr viel mehr –, wenn wir wüßten, daß dies Karl von Huttens Pläne für alle Zeiten durchkreuzen würde.« Der Palästinenser schüttelte den Kopf. »Nein, Ihr Tod würde nichts ändern. Die Deutschen und die Zionisten wären dann gewarnt und ein anderer Reinkarnaut würde an Ihre Stelle treten, in einem Jahr, in fünf Jahren.«
»Was verlangen Sie von mir?«
Mohammed lehnte sich zurück und sah Valentin durchdringend an. »Gehen Sie zum Schein auf Huttens Angebot ein. Sammeln Sie Informationen. Finden Sie heraus, wie der Plan im einzelnen aussieht.«
»Und dann?«
»Überlassen Sie alles andere uns. Wir haben Freunde im Institut. Wir holen Sie heraus und bringen Sie nach Palästina. In Sicherheit. Niemand wird Sie dort finden, weder der Mossad noch der Deutsche Nachrichtendienst. Für den Rest Ihres Lebens werden Sie ein Held des palästinensischen Volkes sein. Sie werden alles bekommen, was Sie sich wünschen. Geld, Frauen, Drogen – was Sie wollen.« Mohammed verschränkte die Arme.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Dann werden Sie nicht mehr in das Institut zurückkehren. Aber«, sagte der Palästinenser lächelnd, »wir sind sicher, daß Sie sich nicht weigern werden. Warum sollten Sie? Nach all dem, was Ihnen Ihre Frau – im Auftrag Huttens, im Auftrag der Zionisten – angetan hat? Es wäre verrückt, Mr. Valentin. Es wäre selbstmörderisch. Sie verstehen?«
Valentin nickte. Sein Mund war trocken. Er hatte Angst. Mohammed war kein Mann, der leere Drohungen aussprach. Er war ein Fanatiker, und er war verzweifelt. Für ihn ging es um das Überleben des palästinensischen Volkes; welche Rolle spielte dann das Leben eines einzelnen Amerikaners?
»Ich helfe Ihnen«, sagte Valentin schließlich.
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