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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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formulierte. Genau so hätte er sich auch in ein Kugellager verwandeln können, einen Punchingball, einen Metallglobus, einen Ballon, eine Laterne, eine kugelförmige Piñata, eine Taucherglocke. Aber von all diesen Dingen atmete und lebte nichts. Warum also keine Verwandlung in eine Weintraube, eine Kirsche, eine Orange, eine Kantalupe, eine Kokosnuß, eine Wassermelone? All diese Früchte, waren mehr oder weniger rund; bei allen handelte es sich um Sonnenanbeter. Sie alle wuchsen und enthielten die vitalen Säfte und die saftige Süße lebenden Fleisches. Aber wer oder was auch immer diese Metamorphose bewirkt hatte (Philip K. hielt seine Verwandlung eher für das Resultat bewußter Intervention, als daß er sie auf einen Zufall oder eine Art spontane genetisch-organische Zellumgruppierung seines Organismus’ zurückführte), die Entscheidung war nicht zugunsten einer dieser köstlichen Früchte gefallen. Man hatte ihn in eine Tomate transformiert. »Weshalb eine Tomate?« Pomme d’amour. Die Frucht vom Baum der Erkenntnis. Aha! In einer Art in ihm hervorquellenden Verständnisses begriff Philip K., daß seinen sinnlich-erotischen Phantasien betreffs Lydia P. eine tiefgehende Bedeutung in Hinsicht auf seinen gegenwärtigen Zustand anhaftete. Eine bestimmte Relevanz begann sich ihm zu offenbaren. Seine Manipulateure hatten sich offenbar die Mühe gemacht, ihn glauben zu lassen, die Funktionen seines Bewußtseins würden die Einzelheiten ihres Plans nach und nach enthüllen. Oh, welch erbaulicher Trick! Der Schlüssel zum Verstehen hieß pomme d’amour. Er war deswegen eine Tomate und nichts anderes, weil die Tomate tatsächlich die legendäre Frucht vom Baum der Erkenntnis war (wobei es in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt, daß Tomaten nicht auf Bäumen wachsen). Immerhin hatte Philip K. – in seiner Daseinsform als Mensch – mit Mitgliedern einer ihr Einzugsgebiet rasch vergrößernden nordamerikanischen Sekte diskutiert, die behauptete, das biblische Eden sei wirklich in der Neuen Welt ausfindig gemacht worden. Nun, die Tomate stammte ursprünglich aus Südamerika (was nicht allzu weit entfernt war von dem Eden, das die Sekte irgendwo in dem Bergland zwischen den Flüssen Missouri und Arkansas lokalisiert zu haben glaubte), und er, Philip K., war eine neue Welt. Obwohl die ganze Angelegenheit nach wie vor verschwommen und unklar und fragmenthaft blieb, hatte er den Eindruck, sich langsam der Antwort auf die Frage nach seiner persönlichen Ontologie zu nähern. »Weshalb eine Tomate?« Bestimmt würde er bald mehr in Erfahrung bringen und diese Antwort finden …
     
    EINE KURZE ANDEUTUNG VON STERBLICHKEIT
    Als Philip K. seit einem guten Jahr den fernen roten Riesen umkreiste, kam er zu dem Schluß, daß sein Wachstum nun zu Ende war. Er hatte eine volle, kräftige Reife entwickelt, die sich durch noch mehr Regen und Sonnenschein nicht weiter steigern ließ. Eine neue Besorgnis keimte in ihm empor. Was durfte er nun erwarten? Würde er nun braune Stellen bekommen und zu faulen beginnen? Würde er auseinanderplatzen, klebrige, narbenähnliche Verletzungen davontragen und auf der unsichtbaren Rebe seiner Umlaufbahn zugrunde gehen? Bestimmt hatte er nicht eine solche Metamorphose erlebt, um dann auf so schmachvolle Weise ein Ende zu finden. Und doch: Als er auf dem schwarzen Samt des Alls dahinglitt und mit einem umfassenden Blick den ganzen Himmel und alles, was an ihm haftete, erfaßte (Sonnen, Nebel, Galaxien, Dunkelwolken, den belanglosen Schotter des Kosmos’), schien dies die einzige Konsequenz seiner Entwicklung zu sein. Er würde verfaulen, das war es, schlicht und einfach: Er würde verfaulen. Weshalb die Frucht vom Baum der Erkenntnis, wenn er letztlich nur verfaulte? Er dachte an Selbstmord. Er konnte seine Rotation zum Stillstand kommen lassen. Das hatte zur Folge, daß die eine Hemisphäre verbrannt und geschmort wurde, während sich die andere mit einem feinen Muster aus Rauhreif überziehen und bis hinab zum Kern gefrieren würde. Oder er konnte den Atem anhalten und mit der Photosynthese aufhören. Philip K. fand an diesen beiden Aussichten weitaus mehr Gefallen als an der, zu einem fauligen Ball aus stinkendem Matsch zu werden. Auf dem Höhepunkt seiner natürlichen Reife dann, als pralle und köstliche Tomate, jonglierte er mit mehreren Methoden des Selbstmords. Auf diese Weise erzwingt unsere eigene Sterblichkeit ihre letztendliche Bestätigung.
     
    DAS ERSCHEINEN DER

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