Willkommen in der Wirklichkeit
spiegeln. Sie würden weder zulassen, daß er verschmorte, noch daß er gefror. Philip K. war bewegt, und das nicht nur in dem einen Sinne dieses Wortes. Doch was nützte ihnen dieses verzweifelte Unterfangen? Wenn Papa zur Nova wurde, schließlich explodierte und seine schlackenartigen Fragmente fortwarf, die er auf seiner hundert Millionen Grad heißen Oberfläche produzierte, konnte niemand von ihnen entkommen, weder er noch die zwölf Schutzengel, die ihn immer weiter von der Sonne fortmanövrierten. War er nur deshalb vorm Verfaulen bewahrt worden und hatte sich sein Fleisch nur deshalb gleich dem Leib des Osiris erneuert (denn obgleich noch immer nur etwa marsgroß, so war Philip K. doch wieder völlig gesund), nur damit er nun von einem Blitz verdampft, oder – wenn er das überlebte – von Papas fortgeschleuderten Glutsplittern zu Ketchup zermahlen wurde? Nein. Das würden die Myrmidopteraner nicht zulassen, ganz bestimmt nicht!
DER NOVA-EXPRESS
Papa zerplatzte. Doch unmittelbar bevor Philip K.s alter und in vielerlei Hinsicht von ihm geliebter Wärmespender ihn und seine Eskorte entweder mit tödlicher Strahlung oder tödlichen Trümmern bombardieren konnte, lösten die Myrmidopteraner ihre Formation auf und postierten sich in Form eines haloartigen Rings über seinem Nördlichen Pol (dem mit dem Stengel). Dann neigten sie ihre Schwingen, und mit der so abgelenkten Energie sowohl des auflebenden Sonnenwindes als auch ihres eigenen Willens schoben sie Philip K. in eine unsichtbare Fuge des Raums hinein. Bevor er jedoch gänzlich darin verschwand, blickte er noch einmal zurück und sah, wie die zwölf Erzengel ihre funkelnden Schwingen weit ausbreiteten und – flimmernd aus dem Diesseits verschwanden. Zumindest aus unserem physischen Universum. Dann befand sich auch Philip K. in einem anderen Kontinuum, einer anderen Realität, und er konnte spüren, wie er einem gewaltigen, Newtonschen pomme d’amour gleich durch diesen Kosmos stürzte. Unmittelbar nach dem Fortflimmern der zwölf Myrmidopteraner war Papa explodiert. Und zum Teil wurde Philip K. selbst in dieser anderen Realität noch von dem kolossalen Stoß vorwärtsgetrieben, der aus dem solaren Kollaps resultierte. Er war – nicht ohne beträchtliche Unterstützung – auf den fahrenden Zug gesprungen, den Nova-Expreß. Doch warum diese Hilfe, fragte er sich, und wohin ging die Reise?
SPEZIALEFFEKTE SIND DO-IT-YOURSELF-UNTERNEHMEN
Während des Transits von dem Sonnensystem des erloschenen roten Riesen nach seinem wo auch immer liegenden Ziel, betrachtete Philip K. – neben anderen Dingen – die an ihm vorbeiströmenden Farben. Schimmerkleckse, funkelnde Lichter, Sterne, die sich zu Glanzstreifen dehnten. Feuriger Odem, glühendes Geläut, sich kräuselndes Wasser, Lachen sinnlicher Zeit. Diese Auflistung ergibt keinen Sinn – oder nur sehr wenig Sinn –, beschreibt man die einzelnen Erfahrungen mit sprachlich geläufigen Begriffen. Versuchen Sie also, jene Erfahrungen auf nichtverbale Weise nachzuempfinden, die die hier angesprochenen Sinne betreffen, wodurch die einzelnen Auflistungspunkte tatsächlich einen Sinn für Sie ergeben könnten. Denken Sie an Lasershows, Konzerte und die Spezialeffekte in Filmen, dann haben Sie drei geeignete Hilfestellungen. Bitten Sie mich nicht darum, mehr ins Detail zu gehen, auch wenn ich dazu durchaus in der Lage wäre. Die Andeutung anderer Erlebnisqualitäten wäre eine zumindest heikle Angelegenheit, und Sie täten besser daran, die Kraft Ihrer eigenen Phantasie zum Einsatz zu bringen, um ein geistiges Bild der transfiniten Realität zu beschwören, durch die Philip K. fiel. Betrachten Sie sie als die Straße jenseits eines Sternentors. Betrachten Sie sie als das Innere eines chronosynklastischen Trichterfortsatzes. Betrachten Sie sie als den mysteriösen, subjektiven Schacht, in den man vielleicht durch ein Schwarzes Loch gelangt. Betrachten Sie sie als Sub-, Para-, Warp-, Anti-, Über- oder auch Es-Raum, wie viele andere auch. Die Nomenklatur allein jedoch kann die transfinite Realität selbst nicht angemessen widerspiegeln, jenes andere Sein, in dem Philip K. entdeckte, daß er Das Mysterium begriff, mit dem ihn die Myrmidopteraner als Tomate konfrontiert hatten und dem er ihren Willen gemäß gänzlich einsichtig werden sollte. Denn als er fiel, oder vorwärtsgetrieben wurde – oder ganz einfach stationär blieb, während das fremde Kontinuum mit unfaßbarer Geschwindigkeit an ihm vorbeiraste
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