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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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untersucht hat. Hier bei uns verfährt man ein wenig anders.«
    »Anders als wo?« schnaubte Mr. Gold. »Ich bekomme immer Sauerstoff!«
    »Pförtner«, sagte die Schwester völlig unberührt, »bringen Sie Mr. Gold bitte in Kabine 6.«
    Ferguson legte das Buch, das er gelesen hatte, aufgeklappt auf den Stuhl und übernahm den Rollstuhl. Während der alte Mann fluchte und keuchte, sagte er: »Wo kommen Sie her, Sir?«
    »Wo ich herkomme, mein Sohn, muß ich nie auf den Sauerstoff warten!«
    »Wirklich? Und wo ist das?«
    »Wenn man davon ausgeht, wo ich bin«, sagte der Patient und blickte sich verächtlich um, »würde ich sagen, die Zukunft.«
    »Sagen Sie bloß! Und woher da?«
    Plötzlich grinste der alte Knabe. »La Jolla. Kalifornien.«
    »Da haben sie eine Menge Sauerstoff?«
    Mr. Gold kicherte. Als Ferguson zu seinem Platz in der Aufnahme zurückkehrte, hatte er sich einen Freund gemacht; seine Langeweile war verschwunden. Ebenso, wie er feststellen mußte, das Taschenbuch, das er auf seinem Stuhl hatte liegen lassen.
     
    Am nächsten Abend arbeitete Ferguson in der Nachtschicht im verlassen anmutenden Krankenhaus, einer der unsichtbaren Heerscharen, die saubermacht, während die Öffentlichkeit schläft. Er trug gerade ein amputiertes Bein zum Einäscherungsofen, als er die Durchsage vernahm: »Jemand für die Efeuhütte, bitte.« ›Efeuhütte‹ war der feinfühlige Begriff, mit dem sie den Kühlraum mit den bemalten Glasfenstern und den Reihen der horizontalen Kühlfächer belegt hatten. Das Bein beiseite legend, schloß er zu seinem Kollegen auf. Dieser schob kichernd das Rollbett an Ort und Stelle – er war wieder am Äther gewesen – während Neil die Türen öffnete, um ein leeres Kühlfach zu suchen. Im allerersten lag die Leiche eines eingeschrumpften kleinen alten Mannes. Mein Gott, ich habe noch nie zuvor so schnell einen Freund verloren! dachte er und schloß die Tür mit einem Gebet. Es war das letzte Mal, daß er Mr. G. sah, den Mann aus der Zukunft.
    Nachdem er am Einäscherungsofen das Bein losgeworden war, bemerkte Ferguson einen Stapel mitgenommener Taschenbücher, die auf ihre Vernichtung warteten. Sie waren wahrscheinlich verseucht. Müde hob er die Überreste von einem auf und las:
     
    DIES IST EINE ILLUSION. SIE SIND EIN KOLONIST AUF DEM MARS. SETZEN SIE IHRE ZEIT-TRANSLATION EIN, KUMPEL. RUFEN SIE PAT PRONTO AN!
     
    Hatte er das nicht schon irgendwo gesehen? Es mußte aus dem Buch sein, das ihm gestern abhanden gekommen war. Er warf die Bücher dem Bein ins Feuer hinterher. Darum kümmere ich mich später, entschloß er sich.
     
    Um wie vieles später war auch für ihn eine Überraschung. Am Samstag stattete er der Unicorn-Buchhandlung einen Besuch ab.
    »Haben Sie irgend etwas von Philip K. Dick?« fragte er den Verkäufer.
    »Von wem?«
    »Das ist ein Science Fiction-Autor.«
    »Ah. Die SF-Abteilung ist unten. Direkt neben den Kinderbüchern«, sagte der Verkäufer ohne die geringste Spur von Ironie in der Stimme.
    Neil fand ein Dutzend Titel des Autors, wenngleich auch nicht den, den er lesen wollte. Er bekam allmählich das Gefühl, daß ihm das Buch auswich. Anscheinend war Dick sehr produktiv: das war billige Fließbandarbeit. Er nahm das Buch mit der unauffälligsten Titelgestaltung: dem Klappentext zufolge drehte es sich um einen Einzelgänger namens Raegun Glumm, der ein paar Schwierigkeiten hatte, eine Stadt zu verlassen. Die Geschichte kam ihm bekannt vor. Doch taugte sie auch etwas? Als Ferguson es herausfand, spielte es schon keine Rolle mehr. Sie hatte schon angefangen, sich in sein Leben einzumischen.
     
    Etwa zu dieser Zeit ging etwas mit der Beziehung mit seiner Freundin schief. Er liebte Liz – weil sie liebenswert war – doch in letzter Zeit schienen sie in verschiedenen Wirklichkeiten zu leben. Es waren nicht nur die Drogen, oder der Streß, einen lausigen Job zu haben. »Was ist in dich gefahren?« wollte sie wissen. »Alles, was du tust, ist so unvorhersagbar geworden! Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
    Sie sagte dies, nachdem sie gemeinsam auf eine Party gegangen und getrennt zu Hause angekommen waren. Es stellte sich heraus, daß sie den Abend auf zwei völlig verschiedenen Parties verbracht hatten.
    »Ich muß die falsche Tür genommen haben und eine Paralleltreppe hinaufgegangen sein. Ich habe gar nicht gemerkt, daß wir auf verschiedenen Parties waren.«
    »Du warst besoffen!«
    »War ich nicht. Naja, vielleicht ein wenig angeheitert. Auf jeden

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