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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Fall, als ich dahinterkam, daß etwas nicht stimmte, hatte ich schon mit ein paar sehr seltsamen Leuten gesprochen. Da war ich dann wirklich besoffen.«
    Er hatte Liz aufgebracht, doch nach diesem Erlebnis begriff er, daß es überall Paralleltreppen gab, und schickte sich an, einige davon zu erkunden. Es ereigneten sich in diesem Leben eindeutig Dinge, denen man nur durch die Metaphern eines Science Fiction-Autors, von dem noch nie jemand etwas gehört hatte, Sinn entnehmen konnte. Oder diese Dinge sind mir vielleicht schon immer zugestoßen, überlegte er, doch ich hatte nie – bis jetzt – ein Bezugssystem, innerhalb dessen ich sie wahrnehmen konnte.
    Ferguson begriff, daß er sein Leben versaute, doch plötzlich hob sich seine Stimmung. Zumindest wußte er nun, daß es jemanden dort draußen gab – wenn auch nur auf Frolix 8 – der die Dinge genauso sah wie er. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen Nachweis über die Gültigkeit seiner Wahrnehmung. Und das, so erkannte er, hatte er mehr als alles andere gewollt.
    Natürlich bestand noch immer die Möglichkeit, daß die Antwort in der Paralleltreppe selbst läge: daß er zu einem Charakter in einem Roman von Philip K. Dick wurde.
     
    Schließlich gelang es Ferguson, die Stadt zu verlassen. Auch Liz machte nun eigene Pläne. Nachdem er mit dem Zufall herumgespielt hatte, spielte der Zufall nun mit ihm. Sehr bald fand er sich in einer anderen Welt wieder, allein und verirrt im Hindukusch, und es war zu allem Überfluß auch noch Winter. Es lag Schnee. Während er auf der Suche nach der Parallelrealität durch die Straßen Kabuls ging, materialisierte auf der Chicken Street ein Antiquariat, in dem er ein Buch über elektrische Schafe gegen eins mit dem Titel Ubik eintauschte. Er hatte überhaupt keine Wahl: alle Bücher in dem Laden trugen diese Titel.
    Neil Ferguson wandelte auf des Messers Schneide. Das Haschisch in Afghanistan hatte kaum Ähnlichkeit mit dem laffen Zeug, an das er gewöhnt war. Eines Abends war sein einziger Fixpunkt zwischen beiden Wirklichkeiten ein deutsches Mädchen, Azi Muth, das das Zimmer mit ihm teilte und jeden Abend mit ihrem Freund in Los Angeles telefonierte. Neil lag auf seinem Bett und las sein neues Buch während der Gesprächspausen, da Azi zuhörte und ihr Freund das Reden übernommen hatte: »Klar … klar … Schatz, ich vermisse dich so sehr … Wirklich? Glaubst du, daß …?«
    Nur, daß es gar kein Telefon gab.
     
    Ja, dachte er, als Azi nach ihrem Gespräch die nackte Glühbirne herausschraubte, ich bin es nicht mehr allein. Ich und Azi und die ganze verdammte Generation, die mit dem aufwächst, was Philip K. Dick schreibt. Wir interessieren uns nicht mehr für Liebesgeschichten, psychologische Schauspiele (wir haben die Pille!) oder diese sozio-politische Literatur, mit der sich unsere Großen Brüder beschäftigen (wir haben die Bombe!). Wir haben unser Leben zwischen dem Schutt des letzten Krieges und dem Ticken der Zeitbombe zum nächsten hin verbracht. Was uns beschäftigt, hat etwas mit dem jetzt zu tun. Existenz gegen Bewußtsein: Paranoia. Zu viele Drogen. Zu viel LSD. Nicht genug Telefone. Das sind die Protagonisten unserer Schauspiele: Zufall gegen Kausalität.
    Sobald Ferguson es zur Bushaltestelle geschafft hatte, löste er eine Fahrkarte zur Nachbarstadt. Dann, nach dieser, die nächste, wobei er durch ganz Indien eine Spur von Taschenbüchern zurückließ – für den Fall, daß sich eine Umkehr als gefährlich erweisen sollte. Mittlerweile hatte er gelernt, stillzusitzen und über eine Sache nach der anderen nachzudenken. An Bord des Madras-Express zogen die Handlungen von Dicks Romanen wie Video-Kassetten vor seinem geistigen Auge vorbei und druckten sich wie eine Mantra darauf ab. Als er einmal in einem Kannabistraum kerzengerade auf einer Holzbank saß, konzentrierte er seine Willenskraft auf die Befähigung, jemanden so zu verwirren, wie Dick es konnte. Erst als er das sichere buddhistische Klima von Sri Lanca erreichte, erlaubte er sich daran zu erinnern, daß er (auch vor sich selbst) ganz unten in seiner Reisetasche eine weitere Ausgabe des Buches versteckt hatte, das ihn so lange ermuntert, mit dem alles angefangen hatte. Er las das Buch des Nachts, während der langsame Bummelzug – der ›Podemeneke‹ – zu dem fernen Bergbahnhof Nuwara Elija hinaufkletterte, eine Reise, die so quälend war wie seine Gründe, sie zu unternehmen. Draußen blitzte ein Gewitter über dem

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