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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Gefühl, er hätte es wirklich getan. Und La Vonda vermittelte den Eindruck, die Nachricht verstanden zu haben.
    Phil fragte sich, ob er sehen konnte.
    Es war ein seltsames Problem. Hätte er sich noch zu Lebzeiten damit befassen müssen, hätte er schon über die Absurdität dieser Frage gelacht. Er hätte sich einfach umgeschaut.
    Aber … hmm, nur mal angenommen …
    Angenommen, du bist auf Reisen, überlegte er. Du gehst in einem fremden Hotelzimmer zu Bett. Das Licht ist aus, und durch die Vorhänge fällt kein Licht von außen herein.
    Du wachst mitten in der Nacht in einem fremden Bett auf und hast wegen deiner fremden Umgebung die Orientierung verloren. Du kannst nichts sehen. Absolut nichts.
    Aller Wahrscheinlichkeit nach befindest du dich nur in einem völlig verdunkelten Raum. Doch epistemologisch gesprochen kannst du das wirklich nicht genau sagen. Das Zimmer könnte lichthell sein, und du bist im Schlaf vielleicht blind geworden.
    Und noch nicht einmal das wäre eine Gewißheit. Vielleicht bist du überhaupt nicht erwacht. Du könntest noch immer fest schlafen und träumen, daß du in der Dunkelheit erwacht bist.
    Oder … du bist vielleicht gestorben, und im Reich des Todes sind Begriffe wie Licht, Dunkelheit, Sicht und Blindheit völlig bedeutungslos.
    »Phil? Sind Sie noch da?«
    Es war La Vonda.
    »Klar«, sagte er. »Ich bin hier. Wo sollte ich sonst sein? Ich kann doch nicht gut davonmarschiert sein, oder?«
    »Ich weiß nicht, Philip.«
    Hätte er es nur gekonnt, hätte er jetzt die Stirn gerunzelt.
    »Wenn ich so darüber nachdenke … Hören Sie, La Vonda, können wir uns bewegen? Ich meine, können wir aus diesen Dingern entkommen? Sind wir hier in diesen Uhren gefangen?«
    »Keine Ahnung. Aber das ist eine Idee! Wie könnten wir herauskommen?«
    »Na ja, probieren wir es einfach mal.«
    Er versuchte, die Seiko zu verlassen. Einen Augenblick lang hatte es beinahe den Anschein, als könnte es ihm gelingen. Er strengte sich an, aus dem Mikrochip, in dem er saß, herauszukommen. Er hatte das Gefühl, es würde klappen, doch dann war da kein Ort, wo er hinkonnte. Da war nur Schwärze, Leere. Es war wie mit diesem hypothetischen Hotelzimmer, nur, daß es keine Möbel gab. Es gab keinen Fernseher, auf dem eine Bedienungsanweisung für den Kabelkanal angeklebt war. Es gab keinen Teppich. Es gab kein Nachttischchen mit einer Bibel in der Schublade.
    Er glitt in die Seiko zurück.
    »Ich weiß nicht, La Vonda. Ich glaube nicht, daß es funktioniert.«
    »Was ist passiert?« fragte sie.
    Er berichtete es ihr. »Wenn wir uns losreißen«, schloß er, »gehen wir wohl wirklich dahin, wohin auch immer die Toten gehen. Vielleicht ist es nur eine absolute Leere. Vielleicht gibt es keine Erlösung. Vielleicht gibt es keine Verdammnis. Vielleicht spielt das auch überhaupt keine Rolle. Man lebt einfach, und stirbt, und das war’s dann. Man ist weg. Ausgewischt. Mitsamt deiner Liebe und deinem Haß, mit deinem Trachten und Sehnen, deinen Ängsten, deinen Bemühungen und Erfolgen und Fehlschlägen. Vielleicht hat das gar nichts zu bedeuten. Vielleicht ist man einfach nur tot, wenn man tot ist.«
    »Das glaube ich nicht, Philip. Ich werde es herausfinden!«
    Als sie die Mobil One-Prämien-Kugelschreiber-Uhr verließ, fühlte er einen Augenblick lang einen elektrischen Sog. Er glaubte, sie als eine szintillierende Matrix aus fließenden Elektronen wahrnehmen zu können.
    »La Vonda!«
    Sie war fort.
    Er war allein.
    Er fragte sich, ob er aus er Seiko-Armbanduhr in die Mobil-Prämie springen konnte. Doch er entschied sich gegen den Versuch. Er sah keinen Sinn darin. Wenn es ihm gelang, wäre er nicht besser dran als jetzt auch. Und wenn der Versuch scheiterte, könnte es auf seine endgültige Auflösung hinauslaufen.
    Er wollte dieses Risiko nicht eingehen.
    Statt dessen machte er einen ernsthaften Versuch, sich umzuschauen.
    Er stellte fest, daß er seine Umgebung wahrnehmen konnte. Er war sich nicht sicher, ob er sie wirklich sah oder nicht. Mehr noch, die Beschränkungen all seiner Sinne schienen verschwunden zu sein, und er war sich lediglich der Gestalt seiner Umgebung bewußt. Er folgerte daraus, daß sein elektrisches Feld in einer wechselseitigen Beziehung mit der elektrischen Gesamtheit seiner Umgebung stand. Daß er, genaugenommen, in eine Gestalt gezwungen worden war, die mit dem Feld dieser Umgebung kongruent war.
    Indem er sich untersuchte, war er also imstande, alles in seiner Nähe zu betrachten. Es

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