Willkommen in der Wirklichkeit
in die Hand.
»Was meinen Sie denn, wie ich heiße?«
Einer der Polizisten lächelte säuerlich und nannte ihm einen Namen. »Oder haben Sie ihr Gedächtnis schon versoffen?«
»Sieht so aus«, murmelte Florenz und setzte zur Unterschrift an. Der Gerichtsvollzieher schien nur halb damit zufrieden zu sein.
»Intelligenz genug, um die deutsche Botschaft übers Ohr zu hauen, aber zu dumm, um den eigenen Namen zu schreiben«, sagte er. »Mit w und nicht mit v. Merken Sie sich das für spätere Fälle. Mir soll’s gleich sein. In drei Wochen also.« Er gab Florenz einen Durchschlag, tippte an seinen Hut und ging. Die anderen folgten ihm.
Florenz wartete, bis er ganz bei Sinnen war, dann machte er sich daran festzustellen, wo er sich befand. Viele Einzelheiten und der Stil der Einrichtung deuteten darauf hin, daß es tatsächlich seine Wohnung war. Sie hatte allerdings nur noch zwei Zimmer. Seine Anlage war bis auf einen einzigen Keyboardsynthesizer verschwunden. Dafür befand sich neben dem Regal im Wohnzimmer ein Arbeitsplatz mit zwei gegenüberliegenden Schreibtischen mit einer kleinen elektronischen Schreibmaschine, einem Haufen Nachschlagewerken, Zeitschriftenstapeln auf dem Boden und Büroutensilien in den Schubfächern. Auf dem Arbeitstisch lag eine Nummer der Zeitschrift Science Fiction Times. Auf dem Foto des Titelblattes erkannte er sofort Philip K. Dick wieder. Neben der Zeitschrift lag ein mit Hilfe eines Matrixdruckers vervielfältigter zweiseitiger Rundbrief.
Florenz setzte sich grübelnd auf den Stahlrohrstuhl, dessen gepolsterte Sitzfläche sich zur Seite neigte, weil eine Schweißnaht gerissen war. Er las in der Zeitschrift nur einige wenige Zeilen.
Philip K. Dick ist tot. In mehr als einer Hinsicht starb er seinem Lebenswerk entsprechend. Am 18. Februar dieses Jahres erlitt er einen Schlaganfall …
Florenz schüttelte den Kopf und grinste. Allmählich begriff er. Er las aufmerksam den Brief, der unter anderem an den Namen gerichtet war, den er eben zum ersten Mal gehört hatte.
Darin stand:
Liebe Kollegen,
wie bereits besprochen, bereite ich für Ende dieses Jahres eine Anthologie mit dem obigen Titel/Untertitel vor, aus dem sich auch schon die Themenstellung ergibt. Um trotz der engen Themenstellung (die Stories sollen sich entweder mit der Persönlichkeit Dicks und seiner Werke beschäftigen oder zumindest einen starken Einfluß von Dicks Werk aufweisen) Überschneidungen so weit wie möglich zu vermeiden, hier kurze Inhaltsangaben der bereits fest eingeplanten Beiträge …
Florenz nickte. Er hatte verstanden. Nun gut, Phil, dachte er. Wenn das so ist … Er fand auf dem Bogen einige alte Manuskriptkopien, die er durchblätterte, schaltete die Schreibmaschine ein, spannte einen Bogen in die Walze und hämmerte in Großbuchstaben auf die erste Seite:
DAS PKD-PROJEKT
Copyright © 1990 by Michael Iwoleit
Richard A. Lupoff
Die digitale Armbanduhr des Philip K. Dick
»Zehn Uhr dreiundvierzig und siebenundfünfzig Sekunden.«
Klick.
»Zweiter März Neunzehnhundertzweiundachtzig.«
Klick.
»Zehn Uhr dreiundvierzig und neunundfünfzig Sekunden.«
Klick.
»Zweiter März Neunzehnhundertzweiundachtzig.«
Klick.
»Zehn Uhr vierundvierzig und …«
»He.«
»… eine Sek …«
»He!«
»… und eine Sekunde.«
»He, Sie, hören Sie auf!«
»Zweiter …«
»Hören Sie auf damit, hab’ ich gesagt! Jetzt hören Sie schon auf!«
»Ich … äh … was?«
»Na ja, das ist schon etwas besser. Nicht viel, aber etwas.«
»Warten Sie mal! Wer sind Sie? Was geht hier vor?«
»Sie sind tot, Mann!«
»Tot? Warten Sie mal. Tot? Wie kann ich tot sein? Ich bin eine Armbanduhr. Ich bin – mal sehen – ja, ich bin eine Seiko Quartz Digital Modell KM23S. Es ist zehn Uhr fünfundvierzig und …«
»He. Ich dachte, das hätten wir schon geklärt. Na gut, Sie sind also eine digitale Armbanduhr. Und wofür halten Sie mich? Ich bin eine Uhr in einem Kugelschreiber. Dieser Hurensohn hat mich als Werbegeschenk bekommen, weil er jetzt Mobil One Silicon-Schmieröl nimmt. Aber ich bin keine Uhr in einem Kugelschreiber. Ich bin La Vonda Jackson, oder zumindest war ich La Vonda Jackson, bis ich starb. Irgendein Arschloch hat mich in ’ner dunklen Gasse aufgeschlitzt, und sie haben mich noch in den Krankenwagen geschafft, aber da bin ich dann verblutet.
Wenn sie fünf Minuten eher gekommen wären, würde ich jetzt noch leben. Aber im einen Augenblick war ich noch La Vonda,
Weitere Kostenlose Bücher