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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Der weiße Hai hier hatten. Und da war der Typ mit seinem Arianismus. Das war vielleicht lustig!«
    Phil musterte Simon Hartley.
    Simon schrumpfte zusammen. Sein selbstzufriedenes, spießerhaftes Gesicht schmolz und verlief. Sein Kopf verwandelte sich in einen bebrillten Schädel mit hoher Stirn. Die Flügel verschwanden. Das weiße, fließende Engelsgewand verwandelte sich in einen prachtvollen, smaragdgrünen Anzug mit abgerundeten Vorderschößen.
    Phil trat einen Schritt zurück.
    »Sie … Sie sind der Zauberer von Oz!«
    »Bin ich das jetzt? Na ja, na ja, na ja, es scheint so. Und was kann ich für Sie tun, Phil? Wissen Sie, ich bin hier, um Sie zufriedenzustellen. Ich könnte Sie sogar nach Kansas zurückschicken, wenn ich soll. Wollen Sie Ihre Tante Em wiedersehen?«
    »Oz?«
    »Nur solange Sie wollen.«
    »Und wenn ich nicht will?«
    »Was immer Sie wollen. Barsoom! Trantor! Trebizond! Karthago! Cathay!«
    »Und Sie sind auch …«
    »Ras Thavas!«
    Der Zauberer von Oz verwandelte sich in ein runzliges, rothäutiges Wesen.
    »Blacky Duquesne!«
    Das Superhirn vom Mars wurde zu einem breitbrüstigen, schwarzbärtigen Raufbold im weißen Kittel eines Wissenschaftlers.
    »Alley Oop!«
    Wandel!
    »Leo Bulero!«
    Wandel!
    »Doktor Bluthgeld!«
    Wandel!
    »Albert Einstein!«
    Wandel!
    »Reicht Ihne diesche Hokusch-Pokusch nu, Philip?« fragte der weißhaarige Wissenschaftler. Er zerrte an seinem ausgebeulten, bauschigen Pullover. In der einen Hand hielt er eine Pfeife, in der anderen einen Bleistift.
    Ein Schreibtisch erschien. Er war mit Blättern bedeckt, auf die Gleichungen gekritzelt waren. Neben dem Schreibtisch hing eine Schiefertafel an der Wand.
    Einstein paffte an seiner Pfeife. Er legte sie auf den Schreibtisch und stand auf. Er schrieb Gleichungen auf die Tafel.
    »Das ist alles in meinem Kopf!« rief Phil.
    »Ja, ja«, nickte Einstein.
    »Ich kann es alles verschwinden lassen – es bleibt nichts mehr davon!«
    Einstein verschwand. Ebenso der Schreibtisch, die mit Gleichungen bedeckte Tafel. Einen Augenblick lang blieb noch eine Kreidestaubwolke bestehen, dann verschwand auch sie.
    Phil sah sich um.
    Einsteins Pfeife trieb im Nichts; aus ihrem Kopf erhob sich ein blauer Rauchfaden.
    Phil starrte die Pfeife an, und sie verschwand, gefolgt von dem Rauchfaden.
    Einen Augenblick lang stand Phil da, umgeben vom Nichts. Ein in sattem Türkis leuchtendes Gittermuster erschien. Punkte aus Helligkeit zischten an den Linien des Gitters entlang, verschwanden in der fernen Bildweite oder tauchten aus unerwarteten Richtungen auf.
    Ich kann das Nichts nicht aufrechterhalten, dachte Phil. Das Bild des Gitterwerks kam ihm vertraut vor. Das ist ein Werbespot im Fernsehen, erkannte er. Wenn er sich schon mit Bildern abfinden mußte, konnten es genausogut Bilder sein, mit denen er umgehen konnte. Etwas weniger Abstraktes und Mechanisches als ein in sattem Türkis leuchtendes Gitterwerk.
    Er rief Simon Hartley zurück.
    »Phil, Sie verfügen über einen ungewöhnlich aktiven und kreativen Intellekt! Es wird uns wirklich ein Vergnügen sein, Sie bei uns zu haben!«
    »Sie existieren nicht!« entgegnete Phil schroff.
    Hartley verschwand.
    »Kommen Sie zurück!«
    Hartley lächelte beruhigend.
    »Oder?«
    »Oder was, Phil?«
    »Oder existieren Sie?«
    Simon fuhr sich mit einer sehr gepflegten Hand über das glattrasierte Unterkinn. »Metaphysik, Philip? Natürlich existiere ich. Hier, nehmen Sie meine Hand.« Er nahm Phils Hand in die seine und hob seine Engelsrobe. An seiner Seite war eine häßliche Verletzung, als hätte vor kurzem ein Speer das Fleisch unter seinen Rippen durchdrungen.
    Simon zog Phils Hand vor und hielt sie an die Wunde.
    »Bezweifeln Sie es immer noch?«
    Phil schreckte zurück. Er sank langsam auf die Knie, schirmte sein Gesicht vor dem strahlenden Licht ab, das von der Gestalt ausging, die sich vor ihm auftürmte.
    Voller Furcht und am ganzen Leib zitternd sah er hoch.
    Jesus stand vor ihm, die Arme ausgestreckt wie zum Segnen. Die Robe bedeckte seinen Körper wieder. Er trug seine Dornenkrone, und ein paar Blutstropfen waren von seiner Stirn auf die Wangen geflossen.
    Phil senkte die Hände wieder.
    Der Ausdruck auf Jesus’ Gesicht kündete von unendlicher Traurigkeit, Mitgefühl und Liebe. Er führte die Hände zusammen und öffnete sorgfältig und mit peinlicher Genauigkeit seine Robe, entblößte die Brust.
    Die Haut und die Knochen über Jesus’ Herz leuchteten auf und wurden durchsichtig. Sie

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