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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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abwehren, Apparate eignen sich nicht dazu, die Macht des heimarmene zu brechen …«
    Gernsback verdreht die Augen. »›Wen die Götter vernichten wollen, den schlagen sie zuerst mit Wahnsinn.‹« Er setzt sich in seinen Sessel, reibt sich die Schläfen.
    »Es bedarf der Definition der Wirklichkeit, um den Kampf gegen das Schicksal aufzunehmen. In meinem Zustand ontologischer Verzweiflung war es immer mein Streben, ein für allemal zu meiner Zufriedenheit die Natur der Realität zu bestimmen …«
    »Und ist es Ihnen gelungen?« Gernsback zeigt unverhohlen Hohn. »Vielleicht durch ihre Frivolisierung?«
    »Die Definition des Wirklichen ist die Definition des Menschlichen.« Dick zuckt mit den Schultern. »Ich dachte, ich hätte es geschafft, aber da der Mensch immer das Falsche tun muß …« In seiner Stimme klingt Bitterkeit an. »Der Koinos- Kosmos ist eine Welt der Verwüstung. Dennoch soll man es immer wieder versuchen, wieviel Rückschläge man auch erleidet …« Er wird ruhiger und versonnener, sein Blick nimmt einen Ausdruck von Innenschau an. »Schreiben ist wie Einzelhaft. Ich habe geschrieben, weil ich im tatsächlichen Dasein keine Freunde gefunden habe.«
    »Weil Sie schizophren sind!«
    »›Wer kann sagen, daß nicht die Schizophrenen recht haben?‹« Dick lächelt, patscht die Hände auf den Schmerbauch. »Nichts ist einfacher, als ein Arschloch zu sein.«
    Gernsback springt entrüstet auf, die Empörung bläht ihm die Nasenflügel, sein Gesicht wird fleckig. »Werden Sie nicht frech, Dick«, schnauzt er. »Stilisieren Sie sich nicht zum Märtyrer hoch. Sie waren fünfmal verheiratet.«
    »Es gibt eine Theorie, der zufolge Liebe bloß Adrenalinsucht sein soll«, sagt Dick wie im Selbstgespräch. »Außerdem hat sie ein aztekisches Nachspiel: Herzausreißen. Das einzige Mal, daß ich richtig glücklich gewesen bin, war in Metz.«
    »Wie jedem stand es auch Ihnen frei«, trumpft Gernsback auf, »nach den Maximen des Erfolgs zu handeln. Sie hätten von positivem Gedankengut und Optimismus erfüllte Werke schreiben können, anstatt konzeptionslose Demontageliteratur zu verfassen!«
    »Um es so wie Sie als Pressezar zu machen?« Dicks Stimme wird scharf, sein Spott ätzt wie Säure. »Aus Liebe Haß und aus Scheiße Geld? Kommt man so durchs Leben?«
    »Ich war auch einmal in Metz.« Der Zentikrat hat eine Hand zur Faust geballt, wohl um damit auf den Tisch zu dreschen, aber als sich unvermutet Kriminalkommissar Kürten zu Wort meldet, verhält er inmitten der Bewegung; das unauslotbare Maß an Abgründigem, die tiefe Untröstlichkeit, die man ihm anhören kann, lähmen Gernsback mit ihrer Grausigkeit, er senkt voller Bestürzung die Faust, sein Blick trifft Kürten, die Entgeisterung hindert ihn am Sprechen, ganz als hätte jetzt auch ihn ein Schlaganfall ereilt. Ebenso wendet Dick den Kopf, die Betroffenheit in seinen Augen gleicht einer Wunde, er nimmt die Hände vom Bauch, weiß aber nicht, wohin damit, legt sie behäbig, in sichtlicher Verunsicherung, auf die Armlehnen des Stuhls. Die Erwartung Schrecklichen verurteilt ihn zur Hilflosigkeit. »Das Kriegsgericht hat mich wegen Fahnenflucht zu sieben Jahren Zuchthaus verdonnert. Von Metz bin ich nach Münster verlegt worden. Wir haben viehische Schikanen erdulden müssen.« Kürten versteht selbst nicht, warum er diesem Ausländer davon erzählt, nach der ersten Reinkarnation hat Dick ja wohl ohnehin genug Sorgen, aber die Erwähnung der Stadt Metz war für ihn wie ein Stichwort, er kann nicht an sich halten, seine Veranlagung zur Mitteilsamkeit gelangt voll zur Geltung. »Ich mußte das erste Mal in den Knast, da war ich gerade sechzehn, das zweite Mal achtzehn, da hat man mich schon wie ein Tier in Ketten und Dunkelhaft büßen lassen.« In stiller Befriedigung stellt Kürten fest, daß Dick seinen Worten sehr aufmerksam lauscht, die Stirn gerunzelt, die Brauen auf die Lider herabgezogen wie Markisen. »So geriet ich ins Spintisieren, verbunden mit sexuellen Gefühlen, beides fiel irgendwie zusammen. Damals hatte ich zum erstenmal den Sühnegedanken. Darum habe ich später Blut vergossen, um auf den unmenschlichen Strafvollzug hinzuweisen. Jedesmal habe ich eine merkliche Entspannung meines Innern verspürt.«
    »Sie haben gemordet …«
    »Ja, aus dem Vergeltungsgedanken heraus.«
    »… um sich zu rächen?« Dick verschränkt die Arme auf der Brust, betrachtet Kürten mit erkennbarer Zwiespältigkeit, einem Gefühlsgemisch aus Verständnis,

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