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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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ein Pferd, traue er sich nicht auszusprechen, was er als so abwegig ansieht. »Sie sind Hugo Gernsback … der Verleger, den man ›Ratten-Hugo‹ nannte, weil er bloß ’n Fünftel-Cent pro Wort blechte … Herausgeber der Magazine Amazing Stories, Science Wonder Stories und Science Fiction Plus …« Dick krallt eine Faust in seinen Kinnbart. »Das darf doch wohl nicht wahr sein …!«
    »Nicht zu vergessen die Zeitschriften Modern Electrics, Electrical Experimenter, Radio News, Science and Invention, Wonder Stories, Air Wonder Stories, Thrilling Wonder Stories und Amazing Detective Tales«, ergänzt Gernsback mit merklichem Stolz. »Und in diesem Universum zudem der Periodika Atomic Knowledge, Television Today, Scientific Blimb Breakthrough, Deutsche Wissenschaft, Aachener Illustrierte, Modernes Leben, Wehr & Waffen, Berliner Gesellschafts-Reportage, Luftfahrt-Postille, Der Junggeselle, Blätter für Weltall-Erforschung, L’Illustration, La Science et la Vie, Journal de Lille, Volk en Vaderland, Problemi di Mondo sowie der Tageszeitungen Deutscher Saarländischer Merkur, Kölner Abendblatt, Rheinische Tagespost, Le Matin, Le Voix de Nord, De Gelderlander … um von allem nur einiges aufzuführen. Ferner bin ich Inhaber beträchtlicher Aktienanteile von Reedereien, Luftfahrt-Unternehmen, Assekuranzen, Banken, Herstellern der Cornflakes-, Süßigkeiten-, Tabak- sowie Firmen der chemischen und elektronischen Industrie in der ganzen Welt. Ich betreibe mehrere Detektiv-Bureaus auf allen Kontinenten.«
    »Ein Konzern … Ja, das paßt zu Ihnen … An Ihrer Geschäftstüchtigkeit erkennt man Sie so verläßlich wie an Ihrem Riechkolben.« Diese Bemerkung Dicks über die augenfällige Keilförmigkeit seiner Nase bringt Gernsbacks Lächeln der Selbstzufriedenheit zum Gerinnen. (Kommissar Kürten grinst, wenngleich ohne wirkliche Heiterkeit.) »Sie sind der Scheiß-Verleger, der die Science Fiction zugrundegerichtet hat«, fügt Dick hinzu, bevor der Zentikrat sich gegen die Äußerung verwahren kann. »Sie sind der Mann, der Stanton Coblentz gedrängt hat, er solle seinen Roman ›Versunkene Welt‹ um zwei Drittel kürzen. Sie haben …«
    »Der Roman ist neunzehnhundertachtundzwanzig in voller Länge in Amazing Stories erschienen«, erwidert Gernsback unwirsch, fühlt sich anscheinend in seiner Ehre gekränkt.
    »Ja, weil Coblentz soviel Rückgrat gehabt hat, Ihre unverschämte Zumutung abzulehnen.« Dicks Tonfall wird hitzig. »Aber hätte er sich nicht …«
    »Auf jeden Fall ist der Roman ungekürzt erschienen.« Gernsback spricht lauter. »Was hingegen Ihre Schreibe anbelangt, hätte Kürzung ihr nicht geschadet. Nichts von allem, was Sie geschrieben haben, enthält auch nur einen Funken Sittlichkeit, es ermuntert die Jugend nicht im geringsten zum Enthusiasmus an Wissenschaft und Technik …«
    »So was war auch nie meine Absicht. Ich wollte einen Kampf gegen eine Welt ohne Moral und ohne Gnade führen, den Menschen die Einsicht in die Notwendigkeit vermitteln, ihre Menschlichkeit zurückzuerringen, Tyrannei zu stürzen.«
    »Was Sie geschrieben haben«, schilt Gernsback, als hätte er Dick gar nicht zugehört, »ist der Inbegriff des Pessimismus und Nihilismus. Ihr schriftstellerisches Lebenswerk besteht aus nichts als metaphysischen Frivolitäten, Eskapaden und Absurdem. Es predigt Resignation und dadurch letztlich Chaos und Anarchie, es ist greulich und krankhaft. Ihr Roman ›Ubik‹ beispielsweise ist lupenreiner Irrsinn.«
    »Ich habe die Menschen zu lehren versucht«, entgegnet Dick, indem er die Fäuste auf die wie bei allen Beleibten weit gespreizten Knie stemmt, »mit aller Entschlossenheit nein zu sagen … Zu Technokraten Ihres Schlages, so wie’s Coblentz getan hat.« Aus Erbitterung zittert sein Kinn.
    »Was haben Sie?« näselt Gernsback intellogant, tappt mit sämtlichen zehn Fingerkuppen auf der Tischplatte herum. »Der Segen der Menschheit wird aus dem technischen Fortschritt geboren. Sie machen mies, was für frühere Generationen eine Sehnsucht verkörperte. In gewissem Sinne hat bereits der Mensch des Barock von der Datenverarbeitung geträumt. Leibnitz erarbeitete das Binärsystem und baute die erste Rechenmaschine, den Vorläufer der Hollerith-Anlagen ebenso wie der Kleinrechner im letzten Viertel dieses Jahrhunderts.«
    »Damit stehen Sie offenbar an einer Erkenntnisschranke, die Sie nicht überwinden können.« Dicks Ton wird heftig. »Technik kann das Damoklesschwert der Ananke nicht

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