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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Realwelt zum Libris non grata.«
    »Danke«, sagte Phil, »es ist gut zu wissen, daß es noch nach dem Tode Menschen gibt, die die Unwirklichen bekämpfen. Aber es waren nicht nur die Bullen und Bürokratien, die mir zusetzten, es waren auch die Kritiker einer eitlen Kunstaura, die mich zum crap-artisten stempelten, zum Lieferanten von Schundromanen. Mehrere tausend Romanseiten konnten zu meinen Lebzeiten, konnten bis heute nicht erscheinen, weil sie nicht in das Bild des crap-artisten paßten, das mir die Öffentlichkeit anheftet. Ist das wirklich? Leben und Tod, Fiktion und Phantasie. Die Sinne sagen mir, daß ihr in der Mehrzahl von abgestorbenem Wissen, toten Dogmen angefüllt seid, Opfer von unwirklichen Verhältnissen, Opfer von Süchtigen, die die Gaskammern immer wieder anheizen werden, um mit ihrer realen Gewalt die Ordnung und den Zusammenhang der bösen Schöpfung aufrechtzuerhalten.«
    Phil stand zwischen den starr Dasitzenden, rang die Hände und lauschte in sich hinein, lauschte seinen Erinnerungen – als würde die Zeit sich in seinem Gehirn in einer wahnwitzigen Musik auflösen und den Raum und seine Dinge in sich aufsaugen. Lichter durchzuckten die Halle, die entblößt schien von Maschinen, die hier einst gestanden haben mochten und an denen sich Generationen von Arbeitern vernutzt hatten, um eine Dingwelt herzustellen, die sie immer mehr verformte und abtötete. Es war, als wären diese schweren Produktionsgeräte ersetzt worden durch schemenhafte Menschen in feierlicher Kleidung.
    Die Mechanik, mit der diese still dasitzenden Fremdwesen in der Anordnung des Raumes waren, erschien Phil seelenlos und grausam, paßte in keine vernünftige Weltordnung mehr hinein.
    Die Menschen saßen auf ihren Stühlen und starrten begierig auf jeden, der sich anders als sie verhielt. Sie starrten auf den toten SF-Autoren Philip K. Dick und auf eine seiner Romanfiguren, den Archonten Palmer Eldrich. Sie warteten auf Aktionen, lechzten nach Spannung, nach Verwicklungen und würden bis zuletzt auf einen versöhnenden Ausgang hoffen. Sie warteten auf die große Katastrophe, auf den Zusammenbruch, auf den Zerfall der Wert- und Weltordnung, auf die Vernichtung, so, wie ihr Glauben an eine todgeweihte, von Schuld beladene Gesellschaft es ihnen von morgens bis abends mit den täglichen Drogen eingegeben hatte.
    Sie warteten ab und überließen das Geschehen, in welches sie sich vage einbezogen fühlten, denjenigen, die sich von ihren Stühlen lösen mochten.
    Und jedesmal, wenn die Stimmen im Raum versiegten, wenn langgezogene Klagetöne sich zu kurzen heftigen Aufschreien verdichteten, ähnlich den Todesschreien von gefolterten Ratten, welche nicht mehr sterben konnten, preßten sie die Hände auf die Ohren und verzogen vor Schmerzen ihre Gesichter. Einige schauten verstohlen auf den Ausgang, auf die großen Türen, wo diffuse Lichtzeichen das sinnlose Wort ›Notausgang‹ in den Raum strahlten. Vor den Türen hatten sich bewaffnete, behelmte, uniformierte Sicherheitskräfte aufgebaut, welche sich hinter großen schwarzen Schutzschilden duckten. Deren versteckte Gesichter ragten wie die Häupter zerbombter Bunker aus den Panzerungen der Uniformen. Aus schmalen Sehschlitzen blickten glänzende, wäßrig-helle Augen, die unentwegt die Anwesenden beobachteten. Es schien, als warteten sie auf einen Einsatzbefehl, um sich auf die Zuschauer zu stürzen und sie niederzuknüppeln.
    Einer der Uniformierten löste sich von seinen Nebenmännern. Es war ein riesenhaftes Wesen mit einem silberglänzenden Helm. Er ging in die Mitte des Raumes, wo die Instrumente im fahlen Licht der Deckenbeleuchtung glänzten und schwang laut aufbrüllend, gefolgt von dumpfigem wilden Gestöhn, als wäre er keiner Sprache mächtig, einen riesigen Gummiknüppel. Plötzlich erstarrte er in seinen Bewegungen. Ein leiser, gleitender Laut wurde vernehmbar, und von der Decke des Raumes schwebte eine mannshohe Teekanne herunter und stülpte sich über ihn. Aus einer Lautsprecheröffnung drang die Stimme einer Frau, nicht weich, sondern hart und blechern.
    »Philip, ich spreche im Namen der fünf Frauen, die du geheiratet hast, von denen du geschieden wurdest, sowie im Namen jener, die dich verlassen haben. Jener Freundin, die an Krebs starb, jener anderen Freundin, die Selbstmord beging, kurz bevor du deine Vision hattest, jenen jungen Fixerinnen, die mit dir eine längere Zeit zusammenlebten. Wir haben dich verlassen, Phil, weil du ein unbequemer Ehemann

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