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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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fluchte er, wandte den Kopf und schaute über die Schulter auf die Rückenlehne, »wo haben sie bloß das Ding her – aus der Folterkammer des Königs von Spanien?«
    Plötzlich lachte Will. Und als Charlie sich einen Jux daraus machte, vom Stuhl aufzustehen, als stünde er in Flammen, ihn umdrehte und schließlich einen Fuß auf die Sitzfläche stellte, um über die Lehne draufzusteigen, lachte er noch mehr, lachte, bis ihm Tränen in den Augen standen und die Brust schmerzte. »Kellogg« keuchte er, »des großen Heilers Vorstellung von Bequemlichkeit.«
    Charlie lachte mit ihm, ein tiefes Lachen aus dem Bauch, das mit Johlen und Stottern endete. Er beugte sich vor, um Wills Glas neu zu füllen. »Auf Kellogg und seinen Wiederkäuerstuhl«, schlug er vor und hielt die Flasche hoch, und sie tranken und lachten so sehr, daß ihnen der Schnaps beinahe wieder hochgekommen wäre. Nach einer Weile setzte Charlie eine ernste Miene auf. »Ich glaube, das Sanatorium bringt dich um, Will – egal, was Eleanor sagt, bei allem Respekt. Das ist nicht natürlich, Nüsse und Sprossen und was weiß ich noch alles zu essen. Ein Mann braucht Fleisch, Tabak, Schnaps. Wenn das alles so schädlich wäre, gäbe es uns dann heute noch? Himmel, der alte Adam wäre umgekippt, bevor er sich hätte daranmachen können, Nachkommen zu zeugen.«
    Will befand sich endlich in einem Zustand des Gleichgewichts. Irgendwo in seinem Kopf ertönte eine warnende Glocke, aber er ignorierte sie. Nach zwei Tagen des Elends und der Demütigung hatte er Ruhe gefunden dank Charlie und der in eine kleine flache Flasche gefüllten Ambrosia. »Charlie«, sagte er mit belegter Stimme, »du solltest mein Doktor sein, verdammt noch mal, das ist mein Ernst. Du hast mehr gesunden Menschenverstand als unser kleiner Napoleon hier – als alle Ärzte und Schwestern und Diätassistentinnen zusammen. › Alles in Maßen‹, stimmt’s? Alles. « Er machte eine vage Geste. »Gibst du mir noch einen kleinen Schluck, ja?«
    Charlie goß nach. Will trank. Das Zimmer, das noch eine halbe Stunde zuvor wie ein Mausoleum gewirkt hatte, erstrahlte in Farben und Formen. Der Wandanstrich gab Anlaß zur Hoffnung, die Maserung des Holzes machte Versprechungen, die Schatten, die die Lampe auf die Schubladen der Kommode warf, waren voller Leben, Geist und Energie. Es gab keinen besseren Freund, keinen besseren Mann als Charlie Ossining.
    »Will?«
    Charlie sprach ihn an. »Will?« wiederholte er, und Will erwachte aus seiner Träumerei. Charlie beugte sich vor, kam so nah, daß sich ihre Stirnen beinahe berührten, und er legte eine warme Hand um Wills Hals, zog ihn zu sich heran, als wären sie zwei rangelnde Footballspieler. Will konnte den Atem des anderen riechen, er war warm, berauschend. Sein Gesicht verschwamm. »Erinnerst du dich an neulich abend, den Heiligen Abend?«
    »Na klar«, sagte Will, »klar. Im Red Onion. Hamburger- Sandwich. Die Spelunke. Nirgendwo sonst auf der Welt fühl’ ich mich so wohl.«
    Charlie war noch immer da, hielt ihn noch immer fest – so fest, wie es nur ging. Es war seltsam. Aber irgendwie auch richtig. Die Umarmung hatte eine Aura an sich, eine Intensität, eine Art Männerleidenschaft, wie sie keine Frau kennen konnte. Will dachte an den Rasen des Spielfelds, die Absatzeisen, den Ball aus Stoff und den glatten, festen Schläger aus Eschenholz.
    »Stimmt«, sagte Charlie, und jetzt war er der Trainer, »und erinnerst du dich auch daran?« Er ließ Will los und lehnte sich zurück. Er schien ein Stück Papier in der Hand zu halten – einen Geldschein? Nein, einen Scheck. Einen sehr vertraut aussehenden Scheck …
    »Gehört der mir?«
    »Äh, ähm.« Charlie sah ihn weise an. »Neulich abend bist du, weil du ein großes Herz hast, Will – und weil du mit einem Geschäftssinn gesegnet bist, der einer hundertprozentigen Sache nicht widerstehen kann –, einer unserer Aktionäre geworden, einer von Per-Fos wenigen Auserwählten.«
    »Ja«, stimmte Will zu. »natürlich, natürlich.« Er war benommen. Wie dieser Whiskey zaubern konnte, heiß im Magen und kalt im Gehirn – warum konnte Kellogg nicht mal eine Flasche davon auf den Tisch stellen?
    »Du hast vergessen zu unterschreiben.«
    »Was?« Will nahm den Scheck und überprüfte ihn im Schein der Lampe. Klar, er hatte vergessen, seine drei Kreuze drunterzusetzen. Es war ihm peinlich. Was mußte Charlie nur von ihm denken? Er lachte kurz, und seine Stimme klang wieder hohl. »Glaub nur nicht,

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