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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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mach dir also keine Sorgen–«
    »Mach dir keine Sorgen? Was sollen wir damit, sie stehlen?«
    Bender lächelte nur. Ein breites, väterliches Lächeln, die Sorte Lächeln, mit der ein Lehrer den besten Schüler belohnt, wenn die Noten bekanntgegeben werden.
    Charlie war fassungslos. »Das meinst du doch nicht im Ernst?« Was um Himmels willen sollten sie mit vierzehn Wagenladungen Kellogg’s Toasted Corn Flakes anfangen? Vierzehn Wagenladungen. Wo sollten sie sie verstecken? Wie sollten sie sie wegschaffen? Sie brauchten hundert Männer, Fuhrwerke, Pferde, Lampen, uniformierte Polizisten, um den Verkehr zu lenken, so eine Scheißidee … Aber während er Benders Miene beobachtete, die durchtrieben grinsenden dicken Lippen, die Signallampe von einer Nase, die verwaschenen blauen Augen, die er amüsiert zusammenkniff, begann er zu begreifen: Sie brauchten keine vierzehn Wagenladungen Corn-flakes, nein, natürlich nicht … sie brauchten lediglich tausend Schachteln.

7.
ORGANISIERTE ERHOLUNG OHNE ENNUI
    Es war ein frischer Morgen Anfang Januar, der Wind fegte mit einer Geschwindigkeit von vierzig Stundenkilometer dahin, das Thermometer hielt sich lustlos bei minus zweiundzwanzig Grad Celsius auf, eine schwarze Wolkenmasse breitete sich am Himmel aus wie ein Fleck im Wasser. Die Zeiger der großen Uhr aus Walnußholz im Salon der »Res« zeigten auf Viertel vor sieben, und der Doktor saß in seinem Sessel, bereits herausgeputzt in seinem weißen Kammgarnanzug, die weißbeschuhten Füße ordentlich auf der Ottomane vor ihm überkreuzt; er ging den Plan für den bevorstehenden Tag durch und legte letzte Hand an seine Bemerkungen über den trägen Dickdarm, die er für die nächste Ausgabe der Zeitschrift Good Health, deren Herausgeber er war, verfaßt hatte. Seit fünf Uhr arbeitete er, nachdem er den Tag um half fünf mit dem morgendlichen Klistier, einem kalten Bad, zwanzig Minuten Kniebeugen und Hampelmannsprünge in seinem privaten Gymnastikraum begonnen hatte. Ein paar der älteren Kinder waren auf und erledigten mittlerweile ihre Aufgaben im Haushalt, und eins von ihnen – er war zu sehr vertieft gewesen in die Tragödie des lethargischen Dickdarms, so daß er nicht aufblickte, um zu sehen, welches – hatte ihm sein Frühstück gebracht. An diesem Morgen bestand es aus Kleiekeksen, vollgesogen mit reiner goldener Butter von seinen gestriegelten und gesaugten Kühen, Honig aus den Bienenstöcken des San, Erbsenpastetchen mit Fruchtkompott, einem Apfel, einer Orange, einer Banane und einer dampfendheißen Tasse Sanitas-Koko.
    Er aß mit gutem Appetit, wie er es immer tat, auch wenn er aufgeregt war – und in letzter Zeit hatte er sich oft genug aufgeregt wegen diesem und jenem, der Kreis um ihn herum schloß sich fester, die ganze Welt wartete nur darauf, daß er den Kopf in die Schlinge steckte, damit sie ihn aufknüpfen und seine Taschen plündern konnten. Da war die Sache mit George, eine beständige Quelle der Irritation, und diesem jungen Flegel, mit dem er gemeinsame Sache machte, Charlie Irgendwas, ein verdammenswerter, perfider Mensch. Schnaps in den Räumlichkeiten des San. Es war ungeheuerlich. Nun, er hatte Chief Farrington diesbezüglich informiert, und wenn Mr. Charlie noch einmal die Unverfrorenheit besitzen sollte, sich auch nur in der Nähe des San blicken zu lassen, dann würde er es bitter bereuen – dafür würden John Harvey Kellogg und die Statuten von Calhoun County und des großartigen Staates Michigan schon sorgen. Aber allein schon der Gedanke an diesen menschlichen Abfall versetzte seinen mit Kleiekeksen und Honig gefüllten Magen in Aufruhr. Ja. Und dann war da das Personal des San – sie wollten eine Gehaltserhöhung. Eine Gehaltserhöhung! Als wäre es nicht schon genug, daß sie medizinische Missionare waren, Diätmessiasse, junge Männer und Frauen, denen das Privileg zuteil wurde, auf der absoluten Höhe ihrer Profession arbeiten zu dürfen und – gratis – das Handwerkszeug zu erwerben, das sie brauchen würden, um die Mission in die Welt hinauszutragen. Und jetzt wollten sie auch noch Geld – schnödes Geld! Er schüttelte den Kopf angesichts der Ironie dieser Geschichte, blätterte seinen Plan durch, um zu sehen, wann er sich mit ihnen treffen mußte – ah, ja, um vierzehn Uhr –, und dann fiel sein Blick zufällig auf seinen Operationsplan. Acht Patienten waren vorgesehen. Bei allen mußte der bockige Sphinkter repariert oder, das würde er entscheiden, sobald er

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