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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Winkeladvokaten, die die Konzession für die getoasteten Flocken von Sanitas erpreßt haben, sind es die? Blutsauger, Vampire und ich weiß nicht, was noch alles – deine Anwälte. Ha!«
    »Ich habe nicht angerufen, um zu streiten, John. Unsere Differenzen werden vor Gericht beigelegt –«
    »Du wirst den Tag noch bereuen –«
    »Aber die bringen uns beide in eine peinliche Lage, und außerdem schädigen sie meine und deine Geschäfte. Und er ist dein Sohn, egal, was du sagst, und es wird bekannt werden, daß der Sohn des allmächtigen Doktors auf dem Hügel ein krimineller Hochstapler ist, und was glaubst du, werden deine hochgeschätzten verstopften Patienten dazu sagen?«
    An dieser Stelle fand das Gespräch ein Ende. Wütend hängte Dr. Kellogg die Hörmuschel ein. Gesichter schwammen vor seinen Augen – das seines Bruders, Dabs Gesicht in seinem Todeskampf, das von George, immer das von George. Er schob den Augenschirm zurück und legte den Kopf auf die Schreibtischplatte.
     
    Ein guter Prozentsatz des Personals wartete auf ihn im Großen Empfangsssaal, als er mit Bloese an seiner Seite durch die Tür schritt, und es war nicht einer da, den er nicht wiedererkannte, nicht einer, zu dem er nicht irgendwann einmal besonders freundlich gewesen wäre oder dem er nicht seine ganz persönliche Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Schwestern, Pagen, Köchinnen, Hausmeister, Elektriker, Töpfeschrubber, Flaschenwäscher und Erdnußbutter-Bereiter, alle waren sie da, zweihundert und mehr, während die anderen, die loyal zu ihm, zum San und zu seiner philanthropischen Mission standen, weggeblieben waren. Als er aufs Podium zuschritt, sah er McMickens ganz vorne in der Menge – ein blaßgesichtiger, flachköpfiger, plattnasiger Ire mit einem lockigen schwarzen Bärenpelz auf den Handrücken. Was hatten sie nur, diese Iren, dachte er irritiert, daß sie nie zufrieden mit ihrem Schicksal waren, daß sie immer nach mehr schrien wie Ferkel an der Zitze? Dieser Mann war ein Querulant, eine Bedrohung, und wenn die Proteste abgeklungen wären, würde der Doktor ihn augenblicklich entlassen.
    Im Raum wurde es still, als Dr. Kellogg auf dem Podium stand und den Kopf senkte. »Meine Freunde«, begann er, und er blickte noch immer nicht auf, »meine Angestellten und Mitvegetarier. Ich habe euch eine tragische Mitteilung zu machen, eine Mitteilung, die das Herz eines jeden in diesem Raum traurig stimmen wird.« Jetzt sah er plötzlich auf, und seine Augen schwammen in Tränen. »Einer von euch, einer der Menschen, die am unverzichtbarsten waren für das Funktionieren dieses bedeutenden, einzigartigen und wohltätigen Unternehmens, an dem wir alle, auch der niederste und jüngste Angestellte, teilhaben, ist von uns gegangen. Ja, Freunde, mein Mitbruder und Sekretär, dieser große und gute Mann, Poultney Dab, ist tot.«
    Jemand schnappte nach Luft. Ein Gemurmel hob an, verwirrtes Geraune, unterdrücktes Hüsteln, gefolgt von einem betroffenen Schweigen.
    »Es geschah diesen Morgen, erst heute morgen, und in Ausübung seiner Pflicht. Poultney Dab arbeitete für dieses große Unternehmen bis zu seinem Ende, er nahm ein Diktat auf, als er von uns genommen wurde und sich hinwegbegab an einen weit glücklicheren und besseren Ort. Er starb unerwartet, aber für welchen Mann gilt das nicht? Oder für welche Frau? Oder gar welches Kind? Unser Herr im Himmel hat uns in seiner Weisheit zu den unvollkommenen Wesen gemacht, die wir sind, den Launen und Bedürfnissen des Organismus ausgeliefert, Sünder wir alle, nicht dagegen gefeit zu fallen.«
    Nicht ein Laut war zu hören. Alle Augen waren auf das Podium gerichtet. Der Doktor hielt inne, um seine Brille abzunehmen und sich mit einem Taschentuch die Augen abzutupfen.
    »Ja«, fuhr der Doktor fort, seine Stimme nahm mehr Volumen an, wurde gebieterisch und dramatisch. »Poultney Dab ist von uns gegangen. Er hat sich geopfert. Tot vor der Zeit. Und wer von uns wird der nächste sein?«
    Niemand antwortete.
    »Wir sagen, daß er unerwartet starb, ja, aber das ist nur unsere Art, uns zu trösten, gewissermaßen eine Beschwörungsformel. Ich sage euch: Poultney Dab starb absolut nicht unerwartet, wir alle hätten es sehen können, wären wir nicht blind gewesen, sein Tod war sichtbar in der Färbung seiner Wangen, in seinen glasigen Augen, der Fahlheit seiner Haut und der Korpulenz seiner Figur … denn war er nicht einer der Unglückseligen, einer der Unbußfertigen, einer von Millionen Männern,

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