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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Operationsplan gestrichen. Gibt’s dafür einen Grund?«
    Dabs schwerfällige Beine trugen ihn blindlings stolpernd die beinharte Straße entlang. Er sah benommen aus. Sein Atem ging stoßweise. »Kein – kein besonderer Grund«, ächzte er. »Es ist wegen – wegen – der Personalversammlung und so – wir –«
    Der Doktor brauste links an ihm vorbei. »In Ordnung, gut. Aber setzen Sie ihn so schnell wie möglich wieder drauf. Und unterrichten Sie Dr. Linniman. Der Mann ist erwiesenermaßen eine Katastrophe – je schneller wir ihn drannehmen, um so besser.«
    Bloese schloß rechts zu ihm auf, völlig mühelos, ein geborener Langstreckenläufer, der zum Zielspurt ansetzte. »Ohne Ennui«, sagte er in leisem, respektvollem Tonfall. Zuerst wußte der Doktor nicht, wovon er sprach, aber dann ging ihm ein Licht auf: Er hatte den Slogan vervollständigt. Und noch dazu wunderschön. Natürlich, das war es: »Das Sanatorium von Battle Creek: Organisierte Erholung ohne Ennui.« Perfekt!
    »Ja«, rief der Doktor, »das ist es, Bloese, hervorragend!« Und dann fuhr er wieder zurück zu Dab. »Haben Sie das notiert, Poult? Ja? Gut. Und jetzt wollen wir mit dem Diktat beginnen – ich werde eine neue Version des Battle-Creek-Sanatorium-Programms brauchen für das Battle-Creek-Sanatorium-Buch, das ich vorgeschlagen habe-, sind Sie soweit, Poult? Gut. In Ordnung. Dann schreiben Sie: Erstens: Fundamentale, heilende Grundsätze. Nur die Natur kann heilen. Die Kraft, die erschafft, ist die Kraft, die heilt. Ärzte, Krankenschwestern und Arzneien heilen nicht; sie können nur den Heilungsprozeß lenken und befördern. Patienten, nicht Krankheiten müssen geheilt werden – indem man die Krankheitsursachen statt lediglich die Symptome zum Verschwinden bringt. Zweitens: Eine natürliche Ernährung –«
    Wenn er diktierte, vergaß der Doktor für gewöhnlich die Welt um sich herum. Er konzentrierte sich, schälte die Schichten seines Gehirns, als wäre es eine geistige Zwiebel, grub sich in die Tiefe, in die Kelloggsche Essenz, und die Welt der Erscheinungen trat notwendigerweise in den Hintergrund. Und deswegen mußte die Frau mit dem Kinderwagen fix sein, und Bloese wurde zu einem Objekt, zu einem Instrument, das sich mit der erforderlichen Geschwindigkeit bewegte, und Dab – der arme Dab -war ein trägeres Instrument, das zurückfiel. Es dauerte eine ganze Weile – mindestens die Länge eines Blocks –, bevor Dr. Kellogg begriff, daß Bloese ihm etwas mitteilen wollte, etwas trotz seiner Unverständlichkeit Dringendes, Kritisches. Der Doktor, ein Mann rascher Entscheidungen und General seiner Truppen, trat kühn auf die Bremsen.
    Bloese blieb neben ihm stehen. Er war nicht einmal außer Atem, sein Haar war nicht zerzaust, die Kälte schien ihm nichts anzuhaben. Aber da war etwas in seinem Blick, was den Doktor innehalten ließ, etwas Verzweifeltes, Wildes, Erschrockenes. »Nun, Bloese, was ist los, Mann?« fragte er.
    »Dab, Sir.« Der Sekretär machte eine Kopfbewegung in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Er scheint gestürzt zu sein.«
    In diesem Augenblick war es klar. Des Doktors scharfe Augen erfaßten die Szene mit einem Blick: Dabs massive Form wie ein Haufen Lumpen auf der Straße kollabiert, die junge Frau mit dem Kinderwagen, die sich über ihn beugte, die nackten Äste der Bäume, die sich empor in den grabsteingrauen Himmel streckten. Er war schnell, Dr. Kellogg, wendig und schnell – im Handumdrehen zurück. Aber trotz seiner Schnelligkeit kam er zu spät, um für seinen gestürzten Amanuensis noch etwas tun zu können.
    Das Gesicht der Frau, Bloeses Gesicht, Dabs Gesicht. Eine Droschke hielt an. Menschen kamen aus den Häusern, öffneten Türen einen Spaltbreit, versammelten sich auf den Veranden und blickten fasziniert und entsetzt auf die Szene. Der kleine Doktor hob den Kopf von der Brust des Sekretärs und ließ das Handgelenk fallen, das er zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten hatte. Dabs Züge waren in den Schraubstock des Todes geklemmt, der Mund stand offen, die Zunge hing heraus, die Augen fixierten in blinder Kontemplation den tiefhängenden Himmel. John Harvey Kellogg richtete sich auf, rieb die Handflächen brüsk aneinander, um das kleinste Partikel zu entfernen, das daran kleben mochte. »Akutes Herzversagen«, verkündete er, und sein Blick wurde plötzlich hart, »es gibt nichts, was wir tun könnten.« Das Geräusch scharrender Füße, gedämpfte Ausrufe und Flüstern.
    »Armer

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