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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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bedeutungsschwanger blickende Augen. »Und ist sie – die Behandlung, meine ich – von großem Nutzen?« Sie hoffte auf irgendeine Art von Beschreibung.
    »Von sehr großem Nutzen«, offerierte Lionel. »Vor allem für die hypersensible Natur, für den Neurastheniker, Eleanor. Ich bin nicht Ihr Arzt« – er warf die Hände in die Höhe und bedachte sie mit einem weiteren seiner Blicke –, »aber ich muß sagen, daß ich bereits mehrere Frauen zu Siegfried geschickt habe, und mir ist nicht eine einzige Klage zu Ohren gekommen.«
    »Dem muß ich beipflichten«, sagte Virginia und senkte verschwörerisch den Kopf. »Wenn ich die Praxis verlasse, schwebe ich auf Wolken, ich bin bis in die letzte Pore entspannt – die letzten beiden Male war ich so im Einklang mit meiner inneren Natur, daß mich der Doktor zur Droscke führen mußte. Ich war schwach, Eleanor, praktisch am Schmelzen.«
    Eleanor verstand nicht. Warum sollte einem daran liegen, sich schwächen zu lassen – war nicht der Kerngedanke der physiologischen Lebensweise, sich zu stärken für das lange Leben, das sie garantierte? »Schwach?« wiederholte sie.
    »Entspannt, meine Liebe.« Virginia tauschte einen Blick mit Lionel aus. Es war ein komplizenhafter Blick, selbstgefällig und plump vertraulich, und er irritierte Eleanor.
    »Hören Sie, Eleanor«, Lionel sprach leise, voller Überzeugungskraft; in der Ferne stießen die Männer, die in das Loch in der Erde spähten, erstaunte Rufe aus. »Dr. Kelloggs Methoden sind erstklassig, das will ich nicht bestreiten, aber wie Sie wissen, treibt er die Dinge nicht weit genug, er schätzt die Extreme nicht. Ich sage immer, extreme Kuren für extreme Zustände. Nein, hören Sie mir zu. Davor brauchen Sie keine Angst zu haben, für Sie, die Sie tapfer vorangehen, wo andere keinen Schritt wagen, eine Vegetarierin und progressive Frauenführerin – für Sie wird es nichts weiter sein als schlicht eine Erweiterung dessen, was Sie sowieso seit langem schon tun. Aber zufälligerweise liegt es außerhalb des strengen Rahmens, den Dr. Kellogg als geeignet für seine Patienten erachtet – er ist ein großer Mann, Eleanor, aber er ist nicht Gott.«
    »So ist es«, warf Virginia ein. Sie war noch näher gerückt, so nahe, daß Eleanor die Erdnußbutter in ihrem Atem riechen konnte; vermischt mit Lionels Knoblauch war es ein berauschender Geruch.
    Eleanor lächelte und lachte kurz auf, obwohl ihr Puls raste. »Aus Ihrem Mund klingt es wie eine sehr geheimnisvolle Sache – Sie müssen es mir nicht schonend beibringen, Lionel, Virginia. Wie Sie wissen, bin ich progressiv.« Sie hielt inne. »Wie sieht die Behandlung denn genau aus?«
    Virginia warf Lionel rasch einen Blick zu; Lionel wandte sich an Eleanor. »Es ist ganz einfach, wirklich. Der Doktor gibt Ihnen ein locker sitzendes Gewand, eine Art Unterhemd, und dann legen Sie sich auf einen gepolsterten Tisch –«
    »– in einem ganz kuscheligen Zimmer«, fügte Virginia hinzu.
    »Ja, natürlich. Die Atmosphäre ist vollkommen entspannt – das muß sie auch sein, das ist der Kerngedanke.«
    »Und Dr. Spitzvogel hat die wärmsten Hände, die man sich vorstellen kann, wärmer als der Heiße Handschuh im San, es ist, als ob er seine eigene Energie ausstrahlte –«
    Ja, sagte sich Eleanor, aber was tut er?
    »Eleanor.« Lionel dämpfte die Stimme. »Ich werde offen zu Ihnen sein – warum auch nicht? Wir sind gute Freunde, nicht wahr? Und wenn es um den menschlichen Körper geht, gibt es nichts, wessen man sich schämen müßte.«
    Frank stieß in der Ferne einen Schrei aus. »Ja?« sagte Eleanor. »Sprechen Sie weiter.«
    »Auf deutsch heißt es die Handhabungstherapeutik.«
    »Manipulationstherapie«, hauchte Virginia.
    »Nun«, sagte Lionel. »Der Doktor manipuliert den Unterleib –«
    »Und die Brüste«, warf Virginia ein und zog dabei den Zischlaut in die Länge, als könnte sie sich nicht davon trennen.
    »Ja«, schnaufte Lionel, der sich zunehmend für das Thema erwärmte, »denn dort ist in der weiblichen Anatomie der Sitz der hysterischen Leidenschaften, der Schlüssel, wie viele glauben, zu neurasthenischen Störungen. Indem er den Unterleib manipuliert –«
    »Und die Brüste«, zischte Virginia leise.
    »– und die Brüste, ist der Doktor in der Lage, den Fluß des Blutes in diesen Regionen zu stimulieren und negative Dämpfe freizusetzen, die sich dort bilden, so wie sich im Fall von Autointoxikation Ptomain und andere Gifte im Darm bilden. Es ist eine

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