Willkommen in Wellville
als ob man sich schämen müßte, wenn man den menschlichen Körper entblößt, als wäre er ein Müllhaufen statt des Tempels, den er ständig beschwört, aber bei Gerhardt Kuntz dürfen sich, wie Sie sicherlich wissen, die Geschlechter mischen. Und warum auch nicht?«
Eleanor fiel kein einziger Grund ein, der dagegen gesprochen hätte. Sie hatte Kuntz’ Beschreibung nackter Menschen, die Luftsprünge machten, gelesen, und das Herz hatte ihr bis zum Hals geschlagen. Dabei stellte sie sich die Männer als Satyrn mit behaarten Beinen vor, die in eisige Sturzfluten sprangen und sich hinterher auf granitenen Thronen wärmten, derweil die Frauen mit scheuen, weichen Körpern und entblößten, von der Schwerkraft liebkosten Brüsten neben ihnen saßen und geistreiche, frivole Konversation machten. Außer Will kannte sie keinen Mann, und sie liebte ihn, liebte ihn wirklich, aber es war auch etwas anderes in ihr, etwas, was heftig und im geheimen in ihren Adern pulsierte und darum kämpfte, herauszukommen. Sie blickte Lionel in die Augen. »Und warum auch nicht?« pflichtete sie ihm bei.
Später, nachdem sie ein Picknick, bestehend aus Grahambrot, Erdnußbutter-Gurken-Sandwiches und einer Flasche von Lionels Concord-Wasser, verzehrt hatten, saßen sie alle in trauter Runde auf Virginias Decke – Eleanor zwischen Lionel und Frank, neben dem Professor Gunderson saß, und schließlich Virginia, um den Kreis zu schließen – und sprachen zum Klappern von Hacke und Schaufel über Archäologie, Gesundheit, Phrenologie und Nudismus. Beim Thema Nudismus wurde Frank argwöhnisch (obschon er an der von Kellogg ausgegebenen Parteilinie hinsichtlich Sonnenlicht und dem nicht eingeengten Körper festhielt), Virginia wurde enthusiastisch, und Professor Gunderson legte sich nicht fest. Lionel warf Eleanor einen bedeutungsvollen Blick zu, als Frank weiterschwafelte und der Professor sich plötzlich mit seinen Notizen beschäftigte. Virginia ging soweit, den obersten Knopf ihrer Bluse zu öffnen, die Ärmel aufzukrempeln und den Rock so weit zurückzuschlagen, daß der weiße Spitzensaum ihrer Liebestöter zu sehen war (Eleanor blieb vollständig und untadelig angezogen – für sie hieß es entweder alles oder gar nichts), und dann kam die Archäologie an die Reihe, und der kleine Professor dozierte über den hügelbauenden Indianerstamm, der vor den Potawatomi in dieser Gegend gesiedelt hatte. Frank mischte sich ein mit seinen phrenologischen Theorien über Indianer im allgemeinen und diese Indianer im besonderen, und Eleanor konnte nicht umhin zu denken, daß er sich in letzter Zeit zu einem Langweiler entwickelte, einem Virtuosen, der nur eine Note spielen konnte. Erst später, als einer der Arbeiter aufgeregt einen Schrei ausstieß und Frank und der Professor hochsprangen, um in ein braunes Erdloch zu spähen, nahm die Unterhaltung einen interessanteren Verlauf.
»Wenn wir schon vom nicht eingeengten Körper sprechen, Lionel«, hauchte Virginia und rückte näher, um den Kreis wieder zu schließen, »so möchte ich mich bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie mich zu Dr. Spitzvogel geschickt haben – nie in meinem Leben habe ich mich so wohl gefühlt, obwohl ich die Methoden des San nicht herabsetzen will. Sie haben mir unglaublich viel geholfen, und ich habe nicht die Absicht, das San zu verlassen – aber, oh, Dr. Spitzvogel!« Sie rollte theatralisch mit den Augen, eine große Kuh von einer Frau, und dann lächelte sie Eleanor an.
Eleanor hatte von dem fraglichen Arzt gehört. Die ganze Angelegenheit wurde immer nur im Flüsterton behandelt, und bei den Damen des San rief die Erwähnung des Namens schockiertes Kichern, anzügliche Blicke und entrücktes Starren hervor. »Ich habe selbstverständlich von ihm gehört«, sagte Eleanor, »aber ich wußte nicht, daß Sie –«
»Schon seit drei Wochen«, warf Virginia ein.
Eleanor spürte Lionels Blick. Normalerweise schwieg er nur, um Luft zu holen, und sie spürte sein Schweigen wie ein greifbares Gewicht, das schwer auf ihr lastete. Sie hatte nicht gewußt, daß Lionel etwas damit zu tun hatte, aber sie hätte es sich denken können. Die Behandlung – sie wurde »Bewegungstherapie« genannt und war speziell auf Frauen abgestimmt, mehr wußte sie nicht – wurde im San nicht angeboten. Dieser Dr. Spitzvogel, eine geheimnisvolle Figur, die niemand zugab zu kennen, hatte irgendwann im Herbst eine Praxis in Battle Creek eröffnet. Eleanor suchte Virginias helle,
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