Willkommen in Wellville
der gesamten medizinischen Elite Deutschlands manipulieren lassen. Und um sich selbst davon zu überzeugen, war er zum Bahnhof gegangen und hatte eine Fahrkarte nach New York gekauft – eine einfache Fahrkarte für eine Person.
Während er vor dem Fahrkartenschalter stand, schloß er die Augen und stellte sich das vertraute alte Haus in der Parsonage Lane vor, die Zimmer und Flure und die Einrichtung, das Roßhaarsofa im hinteren Salon, das sich vollkommen der Form seines Rückens angepaßt hatte, das Himmelbett im ehelichen Schlafzimmer mit den zugezogenen Vorhängen, die die Welt ausschlossen, seine Bücherregale und die Leselampe und die Art, wie die große Eingangshalle das morgendliche Licht auffing und es darbot wie ein Geschenk, und nirgendwo in diesem Bild sah er Eleanor. Er sah Dick, den Drahthaarterrier, und Mrs. Dunphy, die Köchin, er sah den Gärtner und den Botenjungen von Offenbacher … und wen noch? Wen sah er noch? Schwester Graves, die sah er noch. Irene. In der Küche, wie sie auf die Rosen hinausblickte, in der Speisekammer, im Salon, im Bad – oh, im Bad –, und da faßte er einen Plan, er wurde in diesem Augenblick geboren und bis ins Detail durchdacht. Er würde sich scheiden lassen, das würde er tun, und Irene würde mit ihm in das eheliche Bett mit dem Baldachin steigen, sie wäre weich, wo Eleanor hart war, süß, wo Eleanor bitter war, und er würde sie berühren und sie in die Arme schließen, und kein Gürtel, keine Diät, keine Theorie oder rationale Erklärung hätten irgend etwas mit dem zu tun, was folgen würde …
Es war eine Vision, die von Dauer war, die ihn heimsuchte und inspirierte, und den Rest der Woche verbrachte er wie in einem Traum. Eleanor sah er nur zu den Mahlzeiten, und sie rührte ihn nicht, überhaupt nicht. Was nur gut war, denn sie weigerte sich, auch nur in seine Richtung zu blicken, geschweige denn mit ihm zu sprechen. Sie hörte auf zu fasten und aß Pfirsich-, Apfel- oder Birnenmus, ein, zwei Löffel feste Nahrung, arbeitete sich bedachtsam empor zu Brot und Pudding und grobem, aber reinigenden, in die Höhe strebenden Gemüse. Will beobachtete sie beim Essen mit der distanzierten Haltung eines Wissenschaftlers, und er mußte feststellen, daß sie ihm gleichgültig war, daß es ihm gleichgültig war, ob sie aß oder verhungerte, und er hörte ihrer Unterhaltung mit Badger, Hart-Jones und den anderen zu, wie er jemandem zugehört hätte, der in einer fremden Sprache sprach. Am dritten Tag nach ihrem Bruch kehrte Eleanor an ihren alten Tisch zurück, und sie nahm Badger mit sich.
Aber es ging gar nicht um Eleanor, es war nicht Eleanor, die ihn beschäftigte – es war Irene. Irene mit der zärtlichen Stimme und den sanften Händen, das Mädchen von der Farm, die Krankenschwester, der Engel: Irene. Sie durfte kein Geschenk annehmen – nein, das war gegen die Vorschriften –, aber Blumen waren etwas anderes. Sie waren wie winzige Stückchen von der Sonne, gurrte sie, und ein Geschenk Gottes – Blumen könnte sie nie zurückweisen. Und so ging Will an jedem Morgen dieser Woche den weiten Weg hinaus zu einer Geflügelfarm am Ende der Washington Avenue, kämpfte an gegen Heuschnupfen, Schnaken, den Gestank der Hühner und die Sonne, die auf seinen Nacken brannte, nur um ihr einen Blumenstrauß zu kaufen. Lilien und Golddolden, Phlox und Fingerkraut, er ließ die Farmersfrau den Strauß zusammenstellen, jeden Tag etwas Neues, und wenn Irene um elf Uhr kam, um ihn zur Vibrotherapie zu begleiten, standen die Blumen für sie da, in einer Vase auf dem Nachttisch. Er sagte nichts von der Fahrkarte in seiner Brieftasche oder davon, daß er Eleanor verlassen würde und daß er eine Krankenschwester brauchte, eine Freundin, eine Gefährtin, eine Geliebte und Seelenverwandte, die ihn nach New York begleiten und bei ihm bleiben und seine Frau werden sollte, nicht ein Wort davon, noch nicht. Er lächelte sie an und schmeichelte ihr, sagte ihr, daß sie schöner sei als jeder Strauß, und sie blickte auf ihre Hände und errötete. Nein, er hob sich die Reden für den Sonntag auf, wenn sie im Boot über den Goguac Lake treiben würden, wenn vom Ufer her Frühlingsbrisen wehen und Schwäne wie Komplizen neben ihnen schwimmen würden, und sie würde ihm nicht ausweichen können, es gäbe keine Termine, die sie einhalten, keine Vorschriften, die sie befolgen müßte, keine Ärzte, keine Pfleger, keine neugierigen Augen.
Am Donnerstag erfuhr er, wie es der Zufall wollte,
Weitere Kostenlose Bücher