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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Anstaltskleidung, die schale, aschene Welt des Ex-Sträflings. Und wer würde ihm helfen? Wer interessierte sich für ihn? Nicht Mrs. Hookstratten, nicht sein Tantchen, soviel stand fest. Er dachte an den Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie ihn verriet, ihn fallenließ, ihn zur Schlachtbank führte, als ob nichts zwischen ihnen existierte, als ob all die Jahre und alles, was sie miteinander geteilt hatten, nichts weiter wären als eine unangenehme Erinnerung. Er hätte sie nie belügen dürfen, das begriff er jetzt. Von Anfang an, gleich, nachdem sie aus dem Zug gestiegen war, hätte er ihr die Wahrheit erzählen und Bender die Schuld in die Schuhe schieben sollen, wohin sie gehörte.
    Bender. Dieser Dreckskerl. Sie hatten ihn also schließlich doch gekriegt. Wenigstens das. Aber wie hatte Charlie nur auf ihn hören können? Wie hatte er nur so dumm sein können? Und warum war er nicht verschwunden, als er noch die Möglichkeit gehabt hatte und Will Lightbodys Geld, das er hätte einsetzen können? Weil er an Mrs. Hookstratten gedacht hatte, deswegen, und wohin hatte ihn das gebracht?
    Charlie blickte verstohlen auf die krummen Wirbelsäulen und die nickenden Köpfe von Farrington und dem trübseligen Fahrer, die beide bereits vor sich hindämmerten, und er dachte daran zu springen, hier und jetzt, in diesem Augenblick, über den Rand des Fuhrwerks herunterzuspringen und in Handschellen durch die Straßen zu rennen wie ein entflohener Sklave, bis sie ihn wieder einfingen oder er tot umfiel oder entkam, aber die Unmöglichkeit des Vorhabens erstickte die Regung in dem Moment, da sie aufkeimte, und er blieb sitzen, blieb einfach nur da sitzen und schaukelte im Rhythmus der Räder. Ruckend und rumpelnd mahlte sich das Fuhrwerk einen Weg, begleitet von einem leisen, stoßenden Knarzen von Federung und Achse, das sich endlos wiederholte und ihn ebenso zermürbte, als wäre er auf das Rad unter ihm geflochten.
    Sie bogen in die Lake Avenue ein, und hier herrschte Verkehr, Farmer kamen in zwei- und vierrädrigen Wagen vom Land herein wegen der Parade und wegen des Feuerwerks und allen anderen schlichten Vergnügungen, die Charlie für wer weiß wie viele Jahre verwehrt sein würden. Er ging ins Gefängnis. Er war ein Verbrecher. Ein Ausgestoßener. Wenn die Farmer und ihre Frauen ihr Fuhrwerk überholten, waren sie darauf bedacht, wegzusehen, als ob ein Blick auf ihn sie anstecken würde. Eleanor Lightbody hatte ihn angesehen, als sei er ein Insekt, und sie hatte gewußt, sie hatte genau gewußt, was kommen würde, und Kellogg, dieses Großmaul, hatte es ihm in aller Öffentlichkeit unter die Nase gerieben. Niemand hatte ihn dazu aufgefordert. Der alte Ziegenbart hätte es nicht ertragen, ihn ohne großes Trara verhaften zu lassen – nein, er mußte ein Spektakel inszenieren, eine Lektion erteilen. Himmel, wie gern würde er sich revanchieren, nur ein einziges Mal, wie gern würde er auf dieses selbstzufriedene, spitzbärtige Mondgesicht einschlagen, bis der letzte Funken Überheblichkeit herausgeprügelt wäre, bis der Wichtigtuer auf die Knie ginge und sich winden und flehen und betteln würde Charlie kam nicht dazu, sich die Vorstellung ganz auszumalen, denn das Automobil, das versuchte, sie links zu überholen – ein mitternachtsblauer Cadillac, der so blau war, daß er eigentlich schwarz war, mit einer hohen, offenen Sitzbank und funkelnden Scheinwerfern –, hatte in diesem Augenblick eine Fehlzündung. Es war nicht die Schuld des Fahrers, eines Mr. Rudolph Jenkins aus Albion, der zusammen mit der in Satin gekleideten, mit Hut und Schleier versehenen Mrs. Jenkins in die Stadt wollte, um Konzert und Feuerwerk des Sanatoriums mitzuerleben – so was passierte eben einfach: eine zu reichhaltige Treibstoffmischung, ein verfrühter oder verspäteter Funke. Der Flammenstoß dieser Explosion kam völlig unerwartet, war laut wie ein Schuß in einem Schrank, beschleunigte den Pulsschlag und sorgte dafür, daß die Hilfssheriffs die Augen aufrissen, der Chief reflexartig den Kopf einzog und der Farmer, Isaac mit der schäbigen Jacke und dem großen Hut, die Zügel zwischen seine Beine fallen ließ. Was wiederum die bereits verschreckten Pferde zu dem Versuch veranlaßte, auf der Stelle umzukehren, wobei sie den hinteren Teil des Fuhrwerks gut einen halben Meter hoch in die Luft rissen, ihn dabei in eine verrückte Schräglage brachten und ihn schließlich in den rechten hinteren Kotflügel von Mr. Rudolph Jenkins’

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