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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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glänzendem Cadillac rammten.
    Zehn Sekunden später war alles vorbei. Der Cadillac klebte an einer dekorativen Steinmauer zwanzig Meter von der Straße entfernt, die Jenkinses und ihr Gepäck lagen verstreut auf dem Rasen dahinter, und das Fuhrwerk lag umgekippt auf der Straße, und seine Räder drehten sich völlig sinnlos im warmen, gedämpften Licht des Spätnachmittags. Die Fahrgäste befanden sich unter den geborstenen Brettern in der Falle, das heißt, alle Fahrgäste außer Charlie. An den Händen behindert, hatte er sich nirgendwo festhalten können, als das Fuhrwerk heftig gegen den Wagen krachte, und er war wie ein abgeprallter Volleyball hoch – und mitten ins Sonnenlicht geschleudert worden.
    Es hatte einen Unfall gegeben – das sah er von dem edlen, dichten Teppich eines gepflegten Rasens aus, auf dem er unverletzt saß und die Szene begutachtete. Er brauchte eine Minute. Er betrachtete die Räder, die sich drehten, hörte das Stöhnen der Jenkinses, sah das weiße Fleisch eines Armes, der aus einem zerfetzten Hemdsärmel hervorragte und sich unter dem Fuhrwerk krampfhaft bewegte. Eine Minute, nicht länger. Und dann war er auf den Beinen und schlenderte zwanglos die Straße entlang, die Arme unter dem Jackett verschränkt, so daß die Kette der Handschellen, die vor seiner Brust hing, genausogut eine glitzernde Uhrkette hätte sein können.
    Aber was jetzt?
    Er bog in eine Seitenstraße, schritt schneller aus, heftete den Blick auf die Häuserfassaden rechts und links und hoffte inständig, daß die Türen geschlossen blieben und sich niemand an den Fenstern sehen ließe. Er schlich durch eine Einfahrt, lief durch einen Hof, kletterte über einen Zaun und sprang hinunter auf ein unbebautes Grundstück, das überwuchert war von Unkraut und Wiesenblumen. Er kauerte sich in die Vegetation, lehnte sich an die ungestrichenen Zaunbretter, schöpfte Atem und begann, seine Situation zu überdenken.
    In der Ferne läutete die Feuerglocke, und er wußte, daß es nur Minuten dauern würde, bis Farrington und seine Hilfssheriffs aus dem Wrack geklettert wären, ihre Kleidung ausgeklopft, Zähne, Zehen, Finger, Arme, Beine und Ohren gezählt und festgestellt hätten, daß etwas fehlte. Die Feuerwehr würde das Fuhrwerk wieder aufrichten, und Charlie wäre nicht da. Dann würde die Hölle losbrechen. Sie würden an Türen klopfen, jeden Bauerntölpel und Amateurschützen zum Hilfssheriff ernennen und die Bluthunde von der Leine lassen. Er hatte eine Stunde Zeit, vielleicht weniger. Er brauchte Geld, Kleidung zum Wechseln, ein Versteck. In sein Zimmer konnte er nicht zurück – Mrs. Hookstratten würde ihnen die Adresse geben –, und er wagte sich nicht in die Nähe des Bahnhofs. Das Schlaueste wäre es – und von jetzt an, das gelobte er, würde er nichts mehr tun, was nicht schlau war –, sich irgendwo in der Stadt für ein, zwei Tage zu verstecken, in einem Keller, einer Scheune, einem Wagenschuppen, und eine Möglichkeit zu finden, die Handschellen zu knacken und seine Hände zu befreien. Die Handschellen machten den Verbrecher, die Handschellen, die die Farmer und ihre vertrockneten Frauen nicht hatten sehen wollen, und wenn er sie nicht los würde, könnte er genausogut aufgeben und sich stellen.
    Die Feuerglocke erklang jetzt aus größerer Nähe, schrill und dringlich, und er konnte durch den Lärm hindurch Stimmen hören – er mußte weiter. Sie würden mit diesen Straßen anfangen, dieser Gegend, diesem Grundstück. Entfernung, das war es, was er zwischen sich und die anderen legen mußte, und zwar schnell. Er stand auf, hastete über das Grundstück bis zum Gehweg, kämpfte gegen die Versuchung an, loszutraben. Und dann ließ ihn eine vage Bewegung auf der Stelle erstarren, und zwei Jungen tauchten aus dem Nirgendwo auf und flitzten an ihm vorbei in Richtung des Feueralarms. Es war ein schlimmer Augenblick – er dachte, man hätte ihn geschnappt –, und er mußte stehenbleiben, die Arme unterm Jackett, und die Panik bezwingen. Als er merkte, daß sich seine Beine wieder bewegten, riskierte er es, kurz die breite, sonnenbeschienene, von Bäumen gesäumte Straße zu inspizieren, und blickte in die Augen einer alten Frau, die sich auf einer Veranda auf der anderen Straßenseite auf einen Besen stützte. Ihr Haar war zu einem Helm hochgesteckt, und sie bedachte ihn mit einem langen, festen Blick, der ihm durch und durch ging. Er ging weiter, sah auf seine Füße und preßte die Fäuste in die

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