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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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»zum zweitenmal.«
    Zum zweitenmal. Die zwei Worte fielen zwischen sie wie ein Fehdehandschuh, sie prallten heulend von den Wänden ab, elektrisch geladen, zogen einem die Haut ab.
    Der Doktor ging auf ihn zu, bewegte sich wie ein Schlafwandler, blindlings, von einer fremden Macht getrieben, das Blut rauschte in seinen Ohren, und George rieb den Fingernagel gegen den Kopf des Streichholzes, seiner Faust entsprang ein gelber Funke, als führte er einen Taschenspielertrick vor. »So ist es, Vater« ,höhnte er, » zum zweitenmal« ,und als der Doktor auf ihn zustürzte, ließ er das Streichholz auf den Boden fallen, und Flammen breiteten sich aus, züngelten erwartungsvoll, lechzend, anmutig hoch, während George zwischen ihnen herumtanzte wie ein bösartiges, in der Hölle geborenes Wesen mit pechschwarzen Augen und ledrigen Flügeln.
    »Ich war es!« schrie er und wich dem Angriff des Doktors aus, während die Flammen bereits auf den Kanister am Ende des Flurs zurasten, »ich, ich allein. Nicht Schwester White, nicht deine griesgrämigen, saft- und kraftlosen, halbblinden Kirchenältesten, keiner von ihnen, nein.« Er wich jetzt zurück, ging dabei den plötzlich auflodernden Feuerpfützen aus dem Weg, spuckte die Worte aus. »Dreizehn Jahre war ich damals!« rief er mit heiserer, rauher, schriller Stimme, die die Flammen noch höher anzufachen schien. »Ich war es, ich, ich!«
     
    Will Lightbody sprach kein einziges Wort, als er seine Frau über die große, wogende Wiese zurück zur Straße führte. Als sie sie erreicht hatten, hakte er sich bei ihr unter, und sie schritten schweigend auf der festgebackenen Oberfläche der Straße aus, sie hatten es nicht eilig und trödelten auch nicht, sie schritten aus, als machten sie einen abendlichen Spaziergang auf den kopfsteingepflasterten Straßen von Peterskill. Will hielt sich aufrecht, mit erhobenem Kopf und herausgedrückter Brust, hatte die Krawatte ordentlich zurechtgezogen und die Weste bis zum letzten Knopf zugeknöpft, und er brauchte keine Haltungsdozenten oder Schattenbilder, um zu wissen, wo es langging. Zwar gärte es in seinem Inneren, doch sein Körper war entspannt, ruhig, erfüllt von dem Frieden, der auf große Anstrengung folgt, ruhte in sich selbst. Er schlenderte die Straße entlang wie ein Athlet, der gerade alle anderen besiegt und die Trophäe gewonnen hatte, und obwohl ein Fahrzeug nach dem anderen anhielt – Einspänner, Kutschen, Automobile und sogar ein Fuhrwerk –, um sie mitzunehmen, lehnte er standfest ab. Es war richtig, zu Fuß zu gehen. Es war notwendig.
    Eleanor ging an seinem Arm, der Tag war golden, und obwohl die Szene, deren Zeuge er soeben geworden war, die Urszene, mächtig in ihrer Animalität und ihrem Schrecken, immer wieder in sein Bewußtsein zu dringen drohte, verscheuchte er die Erinnerung daran. Er würde diese Szene nicht noch einmal durchleben, nie wieder, er weigerte sich, und jedesmal, wenn sie sich einstehlen wollte, vertrieb er sie durch schiere Willensanstrengung. Glücklichere Zeiten, er dachte an glücklichere Zeiten, vor fünf, sechs Jahren, als die Welt noch in Ordnung und das Haus in der Parsonage Lane, mit seinem Geruch nach frischer Farbe und Tapetenkleister, der Schauplatz ihrer Abenteuer gewesen war. Und so gingen sie, an Feldern und Farmhäusern vorbei, Hügel hinauf und hinunter, zwischen den Ackern hindurch, die sich rechts und links des sonnenbeschienenen Bandes der Straße von Kalamazoo nach Battle Creek erstreckten. Und wenn Will sich zwei Stunden zuvor nicht gekannt hatte, wenn er nicht gewußt hatte, wohin er ging oder was er tun sollte, wenn er unsicher gewesen war und gezögert hatte, durch das Leben geschwebt war wie eine Feder im Wind, so wußte er jetzt genau, wer er war und wohin er ging und warum.
    Eleanor ihrerseits ging schweigend neben ihm, wagte nicht, ihn anzusehen, blickte geradeaus, protestierte nicht. Es war, als wäre sie aus einem Traum erwacht, als wäre ein Bann gebrochen. Sie hatten nicht darüber gesprochen, würden es vielleicht nie tun, aber es war klar, daß sie zu weit gegangen war, eine Trennlinie überschritten, sich weit über die Grenzen von Vernunft und Anstand hinausgewagt hatte; sie hatte Gesundheit gesucht und Krankheit und Verderbtheit gefunden. Zuinnerst wußte sie das, dessen war er sich sicher. Und er war sich auch sicher, daß von nun an die Dinge anders würden. Ganz anders.
    Es war später Nachmittag, als sie den Stadtrand von Battle Creek erreichten, und es

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