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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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wußte, nicht einmal vermutete, war, daß der Doktor das Gebäude für die Ewigkeit gebaut hatte, aus Stein und Ziegel, mit Brandmauern aus Asbest und Balken aus Stahl, daß er es so gebaut hatte, daß es Tornados, Fluten, Feuersbrünste und alle anderen Katastrophen, natürliche wie unnatürliche, überdauern konnte. Das Feuer war eine Unannehmlichkeit, eine Ungeheuerlichkeit, aber Marmor brannte nicht, und Ziegel und Stein waren feuerfest. Schlimmstenfalls würde das Feuer die Einrichtung der Büros im Erdgeschoß verwüsten und einen Gestank hinterlassen, den man gründlich aus den Poren der Wände würde schrubben müssen, aber der Brand war nicht des Doktors oberstes Anliegen, und er schmetterte ihn bei weitem nicht so nieder, wie es sich der kleine dreckige Brandstifter vorgestellt hatte.
    Und so, anstatt sein Heil in der Flucht zu suchen und unbehelligt zu entkommen, als die Feuerwand zwischen ihm und seinem Adoptivvater aufloderte, drehte sich George um, um die Explosion zu beobachten, und der Doktor, der ihm auf den Fersen gefolgt war, stürzte sich wie ein Footballspieler auf ihn und bekam ihn an den Hüften zu fassen. Sie gingen zu Boden in einem sumpfigen Miasma aus Körperausdünstungen, Dreck und Schmiere und dem Gestank ungewaschener Unterwäsche und pilzbefallener Füße. Sie prügelten aufeinander ein, der Doktor hielt grimmig mit, trotz seines Alters dieser Obszönität, diesem Affen, diesem Sack voller Abfall noch mehr als gewachsen. George schlug mit den Fäusten zu, stieß sich mit den Beinen über den Boden, als würde er in der Luft schwimmen, aber sein Vater ließ nicht locker, so rasend und allgegenwärtig wie zehn Männer, stürzte sich auf ihn wie ein Rudel Hunde, zerrte an seinen Kleidern und zahlte jeden Schlag mit Zinsen zurück. Jetzt, dachte der Doktor, jetzt werden wir sehen, was die physiologische Lebensweise wert ist und wer wen niedermacht, der Mann von sechsundfünfzig den Zwanzigjährigen oder umgekehrt Aber dann explodierte der Kanister, und ein brutaler Wind fegte durch den Flur, und irgendwie lockerte der Doktor seinen Griff. Er schnappte nach dem Jungen, zerrte an ihm, kein Heiler, kein Arzt, kein barmherziger Mann mehr, sondern ein wildgewordenes Tier aus dem Dschungel, das das andere zerfleischte, als sich George, vom eigenen Dreck so schmierig wie ein Schwein auf dem Markt, befreien konnte. Er rappelte sich auf, war auf den Beinen, kein höhnisches Grinsen mehr, das Gesicht weiß unter der Maske aus Dreck. Schnell wie ein Akrobat war auch der Doktor aufgestanden, und dann rannten sie wieder los, begaben sich auf eine verzweifelte, keuchende Jagd, während hinter ihnen schwarz und heiß das Inferno tobte.
    George rannte um sein Leben. Der Doktor war knapp hinter ihm, die zu kurzen Beine droschen auf den Boden ein, acht harte, unzulässige Worte hämmerten in seinem Gehirn: Zum zweitenmal, ich werde es zum zweitenmal niederbrennen! »George!« schrie er in seiner Wut, »George!«, und es war kein Befehl und auch kein Fluch, es war ein Kriegsschrei, unverhüllt, schrecklich, markerschütternd. Am Ende der Flurs steuerte George nach links und die Treppe hinunter, statt sein Glück im Freien zu suchen, und des Doktors Herz schlug höher – er wußte, er würde ihn kriegen, man mußte ihm nur genug Zeit und Platz lassen. George war mit einem Satz auf den Stufen, und seine hastigen Schritte hallten im Treppenhaus wider, während er, von Panik erfüllt, in den Keller stürmte, doch der Doktor sprang flink über das Geländer und spurtete mit seinen fahrradgestählten Knien los, als wären es Sprungfedern.
    Sie jagten den langen Kellerflur entlang, an dem rechts und links Labors lagen, ein offenes Feld ohne Hindernisse, und der Doktor hätte ihn hier überholt, ihn in Grund und Boden gerannt, wenn George sich nicht zur Seite geduckt und nicht über den Kachelboden gerutscht wäre, als würde er über Eis schlittern. Das verschaffte ihm eine winzige Atempause, als der Doktor, der sich ganz auf die Verfolgung konzentrierte, an ihm vorbeiraste. Im nächsten Augenblick war George wieder auf den Beinen, machte kehrt und lief den Flur zurück. »Gib auf, George!« schrie der Doktor, stützte sich an der Wand ab, drehte sich um und hetzte wieder vorwärts. »Du hast keine Chance!« dröhnte er und fühlte sich seltsam erhoben, kam den schmalen Schultern und der Rückseite dieses flachen, schmierigen, verhaßten, davonlaufenden Kopfes erneut näher. Er war noch nicht einmal außer

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