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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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– Himmel, sogar vierzig? Per-To. Der Klang des Namens gefiel ihm – er war einprägsam, einmalig. Nahezu unwiderstehlich.
    Später, als die Insekten Besitz von der Nacht ergriffen hatten und all die vertrauten Gestirne und Sternkonstellationen vor ihm ausgebreitet hingen wie Juwelen auf einem bestickten Wandteppich, schoß in der Ferne die erste Rakete ins Nichts und zog einen Schweif aus Gold hinter sich her. Sie flog hoch hinauf, höher, als er glaubte, daß er selbst jemals aufsteigen könnte, schwang sich über den Himmel wie ein Peitschenhieb aus Feuer, und als sie erlosch, folgte die nächste, und dann noch eine und noch eine.

10.
HELDENGEDENKTAG
    Als die Schatten auf der Wiese länger wurden und die im Gesang vereinten Stimmen von Patienten und Personal durch das offene Fenster zu ihm hereindrangen, saß Dr. Kellogg zwischen dem üblichen Wust von Papieren an seinem Schreibtisch und erledigte ein paar Kleinigkeiten, die er nicht verschieben wollte. Er war kein Feiertagsmuffel – früher am Nachmittag hatte er die Sanatoriumsblaskapelle zweimal über das Gelände geführt, kraftvoll den Taktstock zu den blechernen Klängen von El Capitan geschwungen und das Picknick eröffnet, indem er das erste Protosesteak auf den Freiluftgrill gelegt hatte im Beisein seiner tadellos gekleideten Köche und von ungefähr zweitausend jubelnden Patienten, Mitarbeitern und Leuten aus der Stadt – aber Zeit war Geld, und das Leben, wie physiologisch auch immer, war kurz. Er hatte sich nur vorübergehend, nur für eine Stunde, von den Festlichkeiten zurückgezogen, um etwas zu erledigen, das war alles.
    Bei Einbruch der Nacht, wenn der Himmel völlig dunkel wäre, und nicht einen Augenblick früher wollte er Ella, Clara und die acht noch in der Res verbliebenen Kinder zum Feuerwerk treffen (der Kindererziehung hatte er sich in seinen jüngeren Jahren gewidmet; jetzt, im mittleren Alter, hatte er keine Bedenken, die Zahl der Kleinkinder im Haus zu reduzieren und damit das unvermeidliche Maß an Aufregung, Lärm und Schmutz, das sie zwangsläufig mit sich brachten). Er freute sich darauf. Feuerwerk. Wie sehr er es liebte. Obwohl der Heldengedenktag nicht unbedingt sein bevorzugter Feiertag war, da er selbst nie ein militärisch gesinnter Mann gewesen war (wiewohl die Generäle, Admiräle und sogar Verteidigungsminister gar nicht zu zählen waren, die zu seinen engsten Vertrauten gehörten), so bot er ihm doch einen hervorragenden Vorwand, den Himmel über Battle Creek mit einer unvergleichlichen Vorstellung zu erhellen.
    Mit nicht nachlassender Konzentration arbeitete er weiter. Er war stolz auf seine Fähigkeit, die Außenwelt auszuschalten, gleichgültig, ob er sich in einem rumpelnden Eisenbahnabteil zweiter Klasse in Gibraltar oder in einer Dau im Golf von Oman befand, und sich auf das Nächstliegende zu konzentrieren. Dennoch konnte er nicht widerstehen, er mußte mit dem Fuß in rhythmischer Sympathie den Takt zu Mother Was A Lady klopfen, das ein zweitausendstimmiger Chor jetzt zu einem bewegenden Ende brachte, und als sie Daisy Bell in Angriff nahmen, eins seiner Lieblingslieder, summte er unwillkürlich mit.
    Als es dämmerte und er in der Pfütze von Licht arbeitete, die seine Schreibtischlampe, Marke Handel, warf, spürte er schmerzlich die Abwesenheit von Bloese, und für einen Augenblick, nur für einen Augenblick, bedauerte er, ihm für den Tag freigegeben zu haben. Aber jeder Mensch brauchte eine Verschnaufpause, eine Abwechslung vom Alltag, besonders wenn er so emsig und aufopferungsvoll arbeitete wie sein Sekretär, und er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er schließlich und endlich großzügig gehandelt hatte. Während er noch an Bloese dachte, blickte er kurz von den Papieren auf und horchte auf das Ticken und Gemurmel in dem großen Gebäude, das sich über ihm erhob, genoß noch das leiseste Rascheln und Wispern. Das Sanatorium war still, so still wie selten – fast alle, sogar die an den Rollstuhl Gefesselten, hatten sich auf der Wiese zum gemeinschaftlichen Singen und in Erwartung der pyrotechnischen Vorstellung versammelt, die bald ihre Phantasie gefangennehmen würde – und er machte es sich in dieser Atmosphäre der Stille bequem, so wie er es sich auf seinem gewohnten Stuhl bequem gemacht hätte oder in ein Paar am Kamin gewärmter Hausschuhe geschlüpft wäre. Das hier war seine Institution, die Stein gewordene Manifestation seines Willens und seiner Phantasie, und für diesen winzigen

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