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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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war ein langer, heißer Marsch gewesen, voller Staub, Schweiß und Anfällen von Heuschnupfen. Will spürte die Feuchtigkeit, die sich unter seinem Hosenbund gesammelt hatte, und Eleanor, bis zum Hals zugeknöpft, mit losem Haar und etwas schief sitzendem Hut, sah aus, als sollte sie ein Weilchen im Schatten ausruhen. Vor dem ersten Haus, bei dem sie anlangten – dem ersten Stadthaus mit Rasen und Blumenbeeten und zwei enormen alten Ulmen, die sich wie Sonnenschirme über den Hof spannten –, befand sich ein Brunnen, und daneben war eine Bank aus weißen Brettern. Will klopfte an die Tür und bat um etwas zu trinken, und die alte Frau, die öffnete, auf einen Stock gestützt, verwirrt und unsicher, mißverstand ihn anfänglich. Sie blickte zuerst in sein Gesicht, dann in das Eleanors, als wollte sie sie irgendwo einordnen. »Sie sind alle weg«, sagte sie mit einer lauten Stimme, die nicht so recht zu ihrer verhutzelten Gestalt paßte. »Sie sind zum Konzert und zum Feuerwerk.« Nachdem Will sich ihr endlich verständlich gemacht hatte, schlurfte sie zurück ins Haus und holte ein Blechgefäß, das sie ihm mit der Aufforderung reichte, sich nach Herzenslust zu bedienen.
    Sie saßen lange auf der Bank neben dem Brunnen der alten Frau, froh darüber, von der Straße weg und aus der Sonne zu sein. Will ließ den Eimer hinunter, füllte den Krug und gab ihn Eleanor. Sie trank, bog dabei den Hals graziös nach hinten, die Lippen gespitzt, um den Kuß des kalten Blechgefäßes zu empfangen, und als sie zu ihm aufsah, glänzten ihre Augen, die in letzter Zeit so kalt geblickt hatten, daß er sich gefragt hatte, ob sie sich zu Glasperlen verdichtet hätten, feucht und warm. Sie reichte ihm das Gefäß, und ihre Hände berührten sich. Eine Brise raschelte in den Bäumen. Alles Ferne schien sich aufzulösen, und als er trank, sah er wieder in ihre Augen. »Glaubst du, daß der Gärtner daran gedacht hat, meine Rosen vor der Küche zurückzuschneiden?« fragte sie, und ihre Stimme stockte ein ganz klein wenig.
    Sie gingen direkt zum Bahnhof, und Will kaufte eine zweite Fahrkarte zu der einen, die er seit zehn Tagen in seiner Brieftasche mit sich herumtrug. Sie kamen überein, einen Tag in Chicago zu verbringen, so daß sich Eleanor ein paar Kleider kaufen konnte, und auch er brauchte etwas zum Wechseln – Unterwäsche, Hemden und Socken zumindest. Der nächste Zug sollte um acht Uhr fahren, und da ihnen nach der Prüfung, die sie hinter sich hatten, nicht mehr der Sinn nach Fußmärschen stand, setzten sie sich auf eine Bank vor dem Wartesaal des Bahnhofs und hatten zwei Stunden Zeit zum Totschlagen.
    Der Bahnhof war fast leer, die ganze Stadt war entweder beschäftigt mit Feiern im Familienkreis oder hatte sich beim San zu den abendlichen Festlichkeiten eingefunden. Eleanor machte sich in der Damentoilette frisch, setzte sich dann neben ihn und hing ihren Gedanken nach. Auch Will wußte nicht viel zu sagen, und er war es zufrieden, bei ihr zu sitzen; aber nach einer Weile überkam ihn ein Gefühl, das er so lange nicht mehr verspürt hatte, daß er es zuerst nicht wiedererkannte. Es war ein Druck in der Bauchgegend, irgend etwas schien sich innendrin auszudehnen und dann wieder zusammenzuziehen, als trüge er einen körperlosen Mund in sich, der sich mit nichts darin öffnete und schloß. Es dauerte einen Augenblick, bis er das Gefühl identifiziert hatte.
    Er sah empor zum Himmel, zu den Baumwipfeln, ließ seinen Blick von dem großen Schild mit der stolzen Aufschrift, das er als erstes nach seiner Ankunft in Battle Creek gesehen hatte, die Gleise entlang zu einem fernen, verschwommenen Punkt schweifen, wo die Stränge miteinander verschmolzen und im Osten verschwanden. Und dann, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, wandte er sich zu Eleanor und fragte: »Hast du Hunger?«
     
    George drehte sich um und flüchtete den Flur entlang, raste an dem umgekippten Kerosinkanister vorbei, gerade als die Flammen dort anlangten. Betrunken, wie er war, so verrückt, degeneriert und von Geburt an wahnsinnig, hatte er es so geplant, soviel stand fest. Er hatte vorgehabt zu fliehen, sobald der Kanister donnernd und mit einem dumpfen Schlag explodierte, der das Gebäude bis in die Grundmauern erschütterte, aber mit einem hatte er nicht gerechnet – mit John Harvey Kellogg. Agil, schnell, physiologisch gestärkt und mit klarem Kopf, kümmerte er sich entgegen der Erwartung des Jungen nicht um das Feuer. Nein, was George nicht

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