Willkommen in Wellville
benannt worden war. Obwohl alle seine Muskeln schmerzten und ihm der eiskalte Nordwind unablässig ins Gesicht blies, blieb Charlie eine Weile ehrfürchtig vor diesem entfernten elektrischen Glühen stehen. Das hier war eine Eingebung, und die kleinlichen Unannehmlichkeiten seiner Reise schienen im Vergleich dazu nichts. Gab es in ganz Amerika einen unternehmungslustigen Mann oder Jungen, der die Geschichte vom Aufstieg des kränkelnden, bettelarmen C.W. Post in die allererste Riege amerikanischer Industrieller nicht kannte? Hier war der Mann, der als Ruine nach Battle Creek gekommen war, kaum in der Lage zu gehen, der in den Küchen des Sanatoriums gearbeitet hatte, um seine Behandlung bezahlen zu können, während seine Frau in einer unbeheizten Dachkammer Hosenträger nähte. Ja, und sechs Jahre später war er Millionär.
»Kommen Sie, Mister«, jammerte der Junge. »Ich erfriere.«
»Ja, klar«, sagte Charlie zerstreut. »Aber ich dachte, die Post Tavern sei in der Stadt. Ist sie hier draußen? Bei der Fabrik?«
Der Junge ging bereits weiter. »Wir gehen nicht zur Post Tavern«, rief er über die Schulter. »Mr. Bender hat gesagt, ich soll Sie zu Mrs. Eyvindsdottir bringen.«
»Wohin?«
Mrs. Eyvindsdottirs Pension lag in Sichtweite der Weißen Stadt, und sie war sauber, spartanisch und deprimierend. Charlie und der Junge standen zitternd in der kalten Diele, und Charlie zählte dreieinviertel weitere Dollar von Mrs. Hookstrattens Schatz ab, während sich der Junge die Nase am Ärmel abwischte und sich ein halbes Dutzend bläßlicher, hoffnungslos wirkender Männer um das mickrige Feuer im Salon drängten. Mrs. Eyvindsdottir strahlte sie an. Sie war eine Frau mit breiten Schultern und einem kleinen blonden Damenbart, die es stets schaffte, so auszusehen, als hätte sie eben ein unerwartetes Geschenk erhalten, und deren Englisch nahezu unverständlich war – zumindest, was Charlie betraf. Sie mühte sich die Tonleiter rauf und runter wie eine Diva, die sich für ihren großen Auftritt aufwärmt, während Charlie das Geld abzählte, und er konnte sie nur verständnislos anstarren, bis einer der anderen Mieter – ein glatzköpfiger Mann in einer rotkarierten Hausjacke – von seinem Stuhl neben dem Feuer aufstand und übersetzte: »Eine Woche im voraus, fällig und zahlbar am Samstag, Frühstück um sieben, Mittagessen um eins, Abendessen um halb sieben, Mieter, die zu spät kommen, müssen sich selbst versorgen.« Als der Handel abgeschlossen war und Mrs. Eyvindsdottir Mrs. Hookstrattens drei Dollar fünfundzwanzig in den Falten ihrer Schürze verwahrt hatte, schleppte sie sich die knarzende Treppe hinauf, um Charlie in sein Zimmer zu führen.
Das Zimmer machte nicht viel her. Es erinnerte ihn an den Rübenkeller im Hookstrattenschen Anwesen, obwohl es kaum halb so groß war. Unters Dach gequetscht, gründlich gekühlt, düster, feucht und totenstill, fehlten nur noch ein paar Säcke Kartoffeln und ein Korb Steckrüben, um das Bild zu vervollständigen. Eine oft geschrubbte Kerosinlampe sorgte für Licht – und offensichtlich für die ganze Wärme, die er bekommen sollte. Es gab keinen Heizkörper, keinen Kamin, keinen Ofen. Das schmale Bett war neben einem Waschtisch und einer abgenutzten Waschschüssel in die Ecke gepfercht; drei rohe, in die Wand getriebene Pflöcke dienten als Kleiderschrank und Garderobe. Das einzige Schmuckstück war ein winziges, schwülstiges Ölgemälde, das die über den Fjorden Norwegens hängende Mitternachtssonne darstellte.
»Kein Fenster?« fragte sich Charlie laut und versuchte, den Koffer auf den nackten Dielenbrettern abzustellen und dabei so wenig wie möglich Schaden anzurichten.
Mrs. Eyvindsdottir jodelte eine Antwort, als sich der Junge vorsichtig ins Zimmer drückte und Charlies Reisetasche aus Krokodillederimitation in einer Ecke abstellte.
»Wie bitte?« sagte Charlie und richtete sich behutsam auf. Die Muskeln seiner unteren Rückenhälfte, die er lange nicht genutzt hatte, meldeten sich: Sie brannten lichterloh, rohes geklopftes Fleisch, das in einen Kessel mit brutzelndem Fett geworfen wurde.
»Sie sagt ›Mr. Bagwells Zimmer hat’s‹«, dolmetschte der glatzköpfige Mann, der den Kopf zur Tür hereinsteckte und versuchte zu lächeln. Er war wirklich erstaunlich, vollkommen haarlos wie irgendein fantastisches Wesen in einer Freak-Show – er schien nicht einmal Augenbrauen zu haben. »Das bin ich«, fügte er zur Klärung hinzu. Er deutete auf
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