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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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aufzunehmen.
    »He, Mister.« Charlie spürte, wie ihn jemand am Ärmel zupfte, und wandte sich um zu einem jener überflüssigen Jungen, der unter dem Schirm seiner Schiebermütze aus Filz erwartungsvoll zu ihm aufsah. Der Junge war ungefähr vierzehn, verschlafen und dick, und er latschte in seinem Überzieher und den Galoschen daher wie der alte Mann, zu dem er eines Tages werden würde. Eine Gruppe seiner Kumpane – sieben oder acht – stand ein paar Schritte entfernt und beobachtete sie gespannt.
    Bender, dachte Charlie. Bender mußte ihn geschickt haben. »Oh, hallo«, murmelte er und beugte sich zu ihm hinunter. »Kommst du von Mr. Bender?«
    In den Tiefen der matt schimmernden Augen des Jungen erwachte etwas und regte sich einen Moment. Er fuhr mit einer Stiefelspitze über die andere und atmete lange und pfeifend aus, sein Atem hing um sein Gesicht wie eine blasse Wolke. »Ich glaube nicht«, sagte er. »Ich, äh, wollte nur wissen, ob Sie an einer günstigen Gelegenheit zu investieren interessiert sind, an der Möglichkeit, Teilhaber der neuesten und besten Frühstückskost in Battle Creek zu werden, für nur fünfzig Cent pro Aktie. Wovon ich spreche, Mister«, er zog einen gedruckten Prospekt aus den Falten seines Überziehers und senkte die Stimme, als würde er ein streng bewachtes Geheimnis preisgeben, »ist Push.«
    Charlie wußte nicht, wie er reagieren sollte. Sprach der Junge im Ernst? Oder war es nur ein übler Streich, den die Jungen aus dem Ort nichtsahnenden Fremden spielten? Vor ein paar Jahren noch hätte er selbst genau so etwas getan. »Push?« wiederholte er, in diesem Moment abgelenkt von den quietschenden Bremsen des Zuges, der ein paar Meter vorwärtsfuhr und dann wieder stehenblieb – wo war der verdammte Gepäckträger?
    »Ja, Sir, Mister, so heißt es: Push. Die neueste und beste Frühstückskost in Battle Creek, und nur fünfzig Cent pro …«
    »Aaach, hören Sie nicht auf ihn.« Ein zweiter, größerer und langgliedrigerer Junge stand jetzt neben ihm. Sein Gesicht war mit Sommersprossen übersät, und seine Ohren standen im rechten Winkel vom Kopf ab. »Sie wollen bestimmt Grano-Fruto, nur neunzig Cent für eine Aktie von Amerikas beliebtester Frühstückskost –«
    Er wurde von einem weiteren Jungen unterbrochen, der krächzend Vita-Malta anpries und mit einem Prospekt vor Charlies Gesicht herumwedelte, als wieder ein anderer »Fünfundzwanzig Cent pro Aktie, fünfundzwanzig Cent pro Aktie« rief, während sich die ganze Bande hoffnungsvoll um ihn scharte.
    Charlie war spät dran, und langsam begann es ihm zu dämmern. Er wußte, daß es hier eine Reihe von Frühstückskostfirmen gab – Post hatte 1901 seine erste Million gemacht, und dann waren da natürlich noch die Kelloggs –, aber das hier war einfach lächerlich. Während die Jungen mit heiserer, überschnappender Stimme die Namen ihrer Marken herausschrien und mit ihren Broschüren in der Luft herumfuchtelten, begann er zum erstenmal an Bender zu zweifeln. Die Unsicherheit mußte seinem Gesicht abzulesen sein, denn die Jungen verdoppelten ihre Anstrengungen, bedrängten ihn, bis er um seine Brieftasche, seine Reisetasche, seinen Mantel zu fürchten begann. »Verschwindet«, knurrte er sie an, »ihr alle – verschwindet auf der Stelle.«
    Die Jungen fielen von ihm ab wie welke Blätter, aber dann formierten sie sich neu, liefen einem anderen aussichtsreichen Kunden hinterher, priesen schrill ihre Waren an: »Pep! Push! Vim!« Ungeduldig, verärgert und erschüttert stellte Charlie seine Tasche ab und zündete sich eine Zigarette an. Und dort, am anderen Ende des Bahnsteigs, stand der Neger mit seinem Koffer und blickte so desinteressiert drein, als hätte er sich neben dem Ofen im Wartesaal zu einem Nickerchen hingelegt. »Hallo!« schrie Charlie und winkte mit dem Arm über dem Kopf. »Hier bin ich!«
    Keine Reaktion. Verdammt. Der Mann hätte genausogut taub, stumm und blind sein können. »Sie da, Gepäckträger!« rief er, aber plötzlich hatte er es satt, ausgesprochen satt. Er hatte das Reisen satt, hatte es satt, sich wegen Mrs. Hookstrattens 3846,55 Dollar zu sorgen, hatte die faulen Gepäckträger und inkompetenten Kellner satt, und hatte, schon jetzt, Battle Creek satt. Er spürte, wie die Erschöpfung in seine Gliedmaßen sickerte wie Gas in eine Kohlengrube, und als er müde seine Reisetasche hochhob und sich auf dem Bahnsteig in Bewegung setzte, wartete er bloß darauf, daß sie explodierte und ihn in

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