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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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die vordere Wand von Charlies Zimmer, einen billigen Raumteiler, der oben, wo die Decke in den Speicher überging, nicht geschlossen war. »Das Fenster ist in meinem Zimmer, tut mir wirklich leid, aber ich mußte zweieinhalb Jahre warten, bis Mr. Bjornson verschieden ist und ich es haben konnte.«
    Na gut, dachte Charlie, na gut. Benders Sparsamkeit – um so besser. Sie würden jeden Penny brauchen, um Per-Fo groß zu machen – und groß würde es werden, trotz der Witzbolde und Aktienhändler und der Jungs mit dem schnellen Mundwerk im Bahnhof. Mrs. Eyvindsdottirs Zimmer hatte nichts, aber auch gar nichts gemein mit dem Erster-Klasse-Abteil im Zug der Twentieth Century Limited, mit den Austern und den Enten und dem Kaviar, die auf Nachfrage zur Verfügung standen, aber er war gewillt, für eine Weile den Gürtel enger zu schnallen, das war kein Problem – wenn C.W. Post es gekonnt hatte, konnte er es auch. »Danke, Ma’am«, komplimentierte er Mrs. Eyvindsdottir zur Tür hinaus, zusammen mit ihrem Dolmetscher, »und Ihnen auch, Sir, vielen Dank.«
    Nachdem er die Tür geschlossen, sich umgedreht und gefragt hatte, was er als nächstes tun solle, blickte er in die glanzlosen Augen von Benders erbärmlichem kleinen Boten. »Ach«, sagte er, und er konnte nichts dafür, wenn sein Ton schärfer ausfiel, als er eigentlich beabsichtigt hatte, »und was willst du?«
    Der Junge ließ den Kopf hängen. »Tut mit leid, Sir, aber Mr. Bender hat gesagt, Sie sollen mir zehn Cent geben … und er will, daß ich Sie zu ihm in die Post Tavern bringe, egal, wie spät es ist –«
    Die Post Tavern: ja, natürlich. Charlie sollte in einem armseligen Hinterzimmer bei Mrs. Eyvindsdottir wie Peary bei den Eskimos leben, während Bender im besten Hotel der Stadt die Puppen tanzen ließ. Ja, gewiß. Hatte er etwas anderes erwartet?
    »– weil, sagt er, die Banken schon zu sind, und er hat gedacht … also, er sagt, Sie sollen das Geld der Aktienbesitzer dort in den Safe legen. Damit es sicher ist. Das hat er gesagt. Und daß Sie mir zehn Cent geben sollen.«
     
    Halb zehn Uhr abends, der Wind hatte sich teuflischerweise gedreht, um ihm wieder ins Gesicht zu blasen, und Charlie Ossining stapfte auf dem gleichen Weg die lange dunkle Straße zurück in die Stadt. Der Junge ging einen halben Schritt vor ihm her, als wäre es eine Frage der Ehre, und außer dem Knirschen ihrer Schritte und dem heiseren, windgepeinigten Keuchen ihres Atems war kein Geräusch zu hören. Einmal fuhr die Straßenbahn an ihnen vorüber, hell strahlend wie der Himmel selbst, aber der Junge unternahm keinen Versuch, sie anzuhalten, und als ihn Charlie wütend zur Rede stellte, sah der Junge weg und murmelte: »Mr. Bender hat ge sagt, wir sollen zu Fuß gehen. Hin und zurück.«
    Als sie das Hotel erreichten, kochte Charlie vor Wut. Wenn ihm jemand ein Bildnis Benders vor die Füße geworfen hätte, er hätte es mit den Stiefeln die Straße entlanggekickt und freudig in Brand gesteckt. Zuerst hatte er seinen Koffer zwanzig Block weit gegen einen arktischen Wind und in Gesellschaft eines klapperdürren, rotznasigen, heruntergekommenen Wichts in zerrissenen Kniehosen und in einer Jacke, die aussah, als hätte man sie aus dem Müll gezerrt, schleppen und dann die zwanzig Block wieder zurücklatschen müssen für eine Audienz mit dem allmächtigen Bender – und Bender hatte während der ganzen Zeit nicht einmal die Nase zur Tür hinausgesteckt. Nein, er hatte es nicht einmal für nötig erachtet, ihn am Bahnhof abzuholen und zu sagen: Hallo, Charlie, willkommen in Battle Creek, und übrigens, ich werde dich am Arsch der Welt unterbringen in einer Pension für drei Dollar fünfundzwanzig Cent die Woche, während ich mich bis zur Bewußtlosigkeit vollaufen lasse und beim Zimmerservice noch eine Platte Bluepoint-Austern bestelle.
    Die Tatsache, daß das Hotel imposant war – wirklich ein erstklassiges Hotel –, verbesserte seine Stimmung auch nicht gerade. Charlie konnte es kaum glauben. Sechs Stockwerke hoch, einen ganzen Block lang glühten die Fensterreihen zuversichtlich gegen die trostlose Nacht an, es war beeindruckend, modern, großartig, allem gleichwertig, was er in New York oder sonst irgendwo gesehen hatte.
    Er war bereits durch das große Portal gegangen, und der Türsteher war vorgetreten, um ihm die Tür aufzuhalten, als er den Jungen vermißte. Er blieb stehen und schaute sich um, vom Türsteher mißtrauisch beobachtet. Aber in diesem Augenblick

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