Willkommen in Wellville
aber es machte nichts – die Gesellschaft brach sowieso auf. Bender brüllte Abschiedsgrüße, die anderen schlüpften in ihre Jacketts und Überzieher, der Rauch begann sich aufzulösen. Und dann, prächtig anzusehen in der karierten Hose, dem himmelblauen Jackett mit dazu passender Weste und den gelben Schnürstiefeln, die so blank poliert waren, daß sie das Licht wie zwei tanzende Spiegel zurückwarfen, führte Bender ihn würdevoll durch Flure, hinaus in die Halle und über den Teppich zum Aufzug.
Bis Charlie sich glücklich erholt hatte, geleitete ihn Bender bereits in sein Zimmer im vierten Stock – oder besser, in seine Zimmerflucht. Bender verfügte über ein Wohnzimmer mit elektrischen Lampen und einem Rollschreibtisch in der Ecke, ein Schlafzimmer, das linker Hand durch eine offene Tür einsehbar war und einladend durch eine einzige Tiffany-Lampe mit bernsteinfarbenem Schirm beleuchtet wurde, und ein mit glänzenden Kacheln und Porzellanbadewanne ausgestattetes Badezimmer, das allein größer war als Charlies Verschlag bei Mrs. Eyvindsdottir. Während Bender durch das Zimmer zur Anrichte ging und aus einer geschliffenen Karaffe Brandy in zwei Schwenker eingoß, ließ sich Charlie auf das weinrote Sofa sinken und stellte erstaunt fest, daß die Annehmlichkeiten hier ein Telephon mit einschlossen. Bender hatte sein eigenes Telephon. In seinem Wohnzimmer. Der Komfort, der Luxus – es war eine Offenbarung. Er war wie vor den Kopf gestoßen. Es ging fast über sein Fassungsvermögen. Gewiß, Mrs. Hookstratten hatte ein Telephon in ihrem Achtzehn-Zimmer-Haus über dem Lounsbury Pond. Und er nahm an, daß die Lightbodys und ihresgleichen auch eins hatten, aber ein Telephon im Hotelzimmer? Das war zuviel.
»So, so, so, mein Freund«, rief Bender, wirbelte zu ihm herum und torkelte mit den Drinks durchs Zimmer, »und wie war die Reise? Die ganze Strecke erster Klasse, was? Eine Kostprobe des guten Lebens hat noch niemandem geschadet – und das ist erst der Anfang, Charlie, erst der Anfang.«
Bender wartete keine Antwort ab.
»Ich hätte dich natürlich abgeholt, selbstverständlich hätte ich das, wie du weißt, aber diese Leute, die du eben kennengelernt hast – Bookbinder, Stellrecht und die anderen, du erinnerst dich? –, also, das sind die Fürsten dieser Stadt, die Fürsten, und den Umgang mit diesen Leuten muß man pflegen, das muß man einfach. Du weißt, was ich meine?« Bender hatte sich auf die Armlehne des Sofas gepflanzt, seine feurigen rauchfarbenen Augen zupften an denen Charlies, als wären sie durch unsichtbare Drähte miteinander verbunden. Er hob den Schwenker an die Nase und atmete tief ein. »Gutes Zeug, Charlie. Das beste. Otard Dupuy, Jahrgang 78.«
Nie zuvor in seinem Leben war Charlie müder gewesen. Er nippte an dem feurigen Schnaps und sah zu, wie Bender vor seinen Augen anschwoll. »Ja, sehr gut«, murmelte er und versuchte zu lächeln.
»Nun gut«, dröhnte Bender, sprang auf die Füße und marschierte durchs ganze Zimmer, wobei er abwechselnd an seinem Drink schnüffelte und an den Enden seines Barts zog. »Freut mich, daß es dir schmeckt. Schließlich zahlt dein Gönner – oder soll ich ›Gönnerin‹ sagen? – für den ganzen Kram … Ach übrigens, du hast den Scheck, nehme ich an?« Er blieb stehen, mitten in einem Riesenschritt, um sich ganz auf die Formulierung der Frage zu konzentrieren – und auf die Antwort. »Und das Bargeld?«
Mit einemmal erwachte Charlie zum Leben, war zum erstenmal, seitdem er aus dem Zug gestiegen war, völlig wach. Er hörte das leise Rollen eines Wagens, der an der Tür vorbeigeschoben wurde, das Rauschen einer entfernten Toilette, Stimmengemurmel. Der Scheck. Das Bargeld. Bender machte sich nichts aus ihm, machte sich nichts aus Per-Fo, machte sich nichts aus irgend jemandem oder irgend etwas – er machte sich nur etwas aus Mrs. Hookstrattens Geld. Die ersten tausend Dollar davon hatte er sowieso schon gekriegt, ein Scheck, den Mrs. Hookstratten an einem herrlich sonnigen Oktobernachmittag vor knapp fünf Wochen in ihrem Wohnzimmer ausgeschrieben und unterzeichnet hatte – und wo war das Geld? Ausgegeben für Otard Dupuy und Havannazigarren? Charlie wollte sich danach erkundigen, die Angelegenheit nachdrücklich zur Sprache bringen, aber es war spät, er war erschöpft und wußte nicht, wo er anfangen sollte. »Hör mal, Goodloe –«
»›Good‹, Charlie. Sag einfach ›Good‹ zu mir. Sollen mich meine Feinde ›Goodloe‹
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