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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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zündete den Docht der Kerosinlampe an.
    Das Zimmer erstrahlte im Licht. Schatten lauerten in den Ecken. Der Putz hatte Risse, und die Tapete war verblaßt. Auf der anderen Seite der Wand sägte Bagwell Baumstämme. Fluchend sprang Charlie aus dem Bett und setzte an zu einem nachhaltigen Neuarrangement der Matratze. Er hob sie vom Rost und bearbeitete den Überzug, bis er sich wellte wie Wogen auf dem Meer. Aber die Füllung ließ sich nicht in Form bringen – sie bauschte sich immer wieder wie ein Postsack. Verwirrt, wütend, aus der Fassung gebracht – und überdies noch immer halb betrunken –, schnitt er mit dem Taschenmesser die Naht am unteren Ende der Matratze ein Stückweit auf, mit dem Ziel, einen Arm hineinzustrecken und die Füllung neu zu arrangieren.
    Ah, ja: Es war tatsächlich Papier. Papier. Angewidert nahm er eine Handvoll und zog sie durch den Riß im Überzug.
    Eine häßliche kleine Überraschung erwartete ihn, die letzte in einer Reihe, die zurückreichte bis zu dem Augenblick, als er aus dem Zug gestiegen war. Es war nicht einfach Papier. Nein, es handelte sich um überaus hochwertiges Papier, fast so geschmeidig wie Geldscheine, und darauf geprägt war eine üppige blaugrüne Weizengarbe. Auf dem Band, mit dem die Halme zusammengebunden waren, stand in fettgedruckten schwarzen Buchstaben folgende Legende:
     
    EIN ANTEIL, VORZUGSAKTIE
    MALTA-VITA FRÜHSTÜCKSKOST CO., LTD.
    BATTLE CREEK, MICHIGAN

7.
SYMPTOMITIS
    Nachdem die Decke auf ihn herabgestürzt war und der Boden unter seinen Füßen nachgegeben hatte, fand sich Will Lightbody draußen auf dem Korridor wieder unter dem wachsamen und eindeutig mißbilligenden Blick von Mrs. Stover. Eleanor hatte sich mitten in dem ruhig brodelnden Speisesaal seiner Umarmung entzogen – und zu Recht: was hatte er sich nur dabei gedacht? – und ihn dann den ganzen Hauptgang entlang bis zu dem mahnenden Banner und durch das griechische Portal des pompösen, schwülstigen Eingangs hinausbegleitet. Jetzt stand sie vor ihm, die Lippen so fest zusammengekniffen, daß sie unterteilt schienen, jede kleine verzerrte Linie ein eigener kleiner Abschnitt. Sie war wütend. So wütend, wie er sie nie zuvor gesehen hatte.
    »Ich dulde das nicht, Will«, sagte sie, wobei sie jedes Wort sauber abbiß und anschließend ausspuckte. Ihre Pupillen waren auf die Größe von Stecknadelköpfen geschrumpft, und zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine ordentliche, kleine, bockige Falte gebildet.
    Noch vor einem Augenblick, im Speisesaal, überwältigt von gastrischer Verzweiflung und emotionaler Verwirrung, schien er einer Ohnmacht nahe. Ihm war nie in den Sinn gekommen, daß eine Diät, bestehend aus ungebuttertem Toast und artesischem Wasser, möglicherweise nicht die ganze Bandbreite seiner Nahrungsbedürfnisse abdeckte, oder daß er bereits zu drei Vierteln verhungert und zur Gänze abgemagert war und daß die Schwindelgefühle und die peristaltische Agonie, unter denen er litt, schlicht und einfach auf Entkräftung zurückzuführen waren. Nein, es mußte komplizierter sein. Schließlich lebten sie in einer Ära des Fortschritts, und »Reform« war das zeitgemäße Schlagwort. Will war krank, weil seine Art zu leben krank war. Er würde gesund werden, wenn er seine Eßgewohnheiten reformierte und sich an die Kurvorschriften hielt, die Dr. John Harvey Kellogg und die Hohenpriester der Gesundheit verordneten. Das zumindest hatte man ihm gesagt.
    Wie auch immer, Eleanor war nicht in seine Arme gesunken, eine altbekannte Schummrigkeit hatte sich bei ihm eingeschlichen, und er hatte gespürt, wie seine Augäpfel sich unter die Deckung der Oberlider zurückzogen. Irgendwie war Mrs. Stover da, sie war zwar klein, hatte aber kräftige Schultern und einen voluminösen Busen, und dann waren auch noch eine ihrer gleichermaßen drallen Ernährungsassistentinnen – ein strammes Mädchen, Corn-flakesgenährt und Joghurt-gekräftigt – und schließlich ein männlicher Pfleger an seiner Seite. Die Szene fand ein Ende, und Will, sanft gestützt von fremden Armen und geleitet von seiner Frau, entkam dem Speisesaal. Und jetzt, in der relativen Abgeschiedenheit des Korridors, wollte Eleanor eine Entschuldigung hören. Sie wollte Reue, Versprechungen, Beteuerungen und Ergebenheitsbekundungen; sie wollte den ersten Pfahl des Zaunes in die Erde treiben, der sie voneinander trennen würde.
    Die Worte lagen ihm auf der Zunge – es tut mir leid –, aber er brachte sie nicht heraus. Je

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