Willkommen in Wellville
stand er am Schreibtisch, den Obstkorb außer Reichweite im Regal hinter sich, Wills Akte in den Händen. Er blickte streng auf, ein nervöser, scharfsichtiger kleiner Vogel, der die kleinste Bewegung im Gras wachsam registrierte. »Entschuldigen Sie, Mr. Lightbody – stehen Sie nicht so rum, als hätten Sie Angst vor mir; ich werde Sie nicht beißen; kommen Sie rein, kommen Sie – ich habe meine Runde bei den Patienten gemacht und ihnen Obst gebracht (der beste Imbiß, den der liebe Gott geschaffen hat, antitoxisch, vorbeugend gegen Skorbut, voller Ballaststoffe, insbesondere der Granatapfel, eine wunderbare Frucht ist das), und ich war in Gedanken noch bei ihnen. Kein Obst für Sie, Sir. Noch nicht. Nein, nein, nein, auf keinen Fall. Das geht nicht.«
Will setzte sich dem Schreibtisch gegenüber; sein Kopf fühlte sich seltsam leicht an, als wäre er mit Helium gefüllt, sein Magen verkrampfte sich in angstvoller Erwartung. Dab wandte sich ab, um sich mit den Büchern zu beschäftigen, schob sie in die dafür bestimmten Lücken im Regal. Schwester Graves stand an der Tür, die Mandarine wohlverwahrt in ihren Händen wie eine Opfergabe, und wartete auf weitere Instruktionen. Der Doktor schritt auf und ab, aß einen glänzenden grünen Apfel und blätterte in Wills Akte – oder was Will für seine Akte hielt. Er bemerkte, daß ein rauchfarbener Augenschirm aus Zelluloid wie durch einen Zaubertrick auf der Stirn des Doktors aufgetaucht war und die Lichtreflexe auf seiner Brille abschwächte.
»Schwester Graves«, sagte der Doktor, der immer noch mit gesenktem Kopf auf und ab ging, und seine Stimme heulte auf wie ein startendes Automobil, wenn die Kurbel zum erstenmal gegriffen hat, »das ist alles, danke. Schwester Bloethal wird für den Rest des Abends übernehmen.«
Die Tür fiel mit einem leisen, respektvollen Klicken ins Schloß, und Schwester Graves war verschwunden, die physiologisch korrekte Haltung, die hübschen Ohren, die umsorgenden Hände, alles. Will fühlte sich plötzlich so verlassen wie damals als Junge beim Einkaufen in New York, als er in der schiebenden, drängenden Menge die Hand seiner Mutter verloren hatte.
»Nun gut, Mr. Lightbody«, sagte der Doktor plötzlich und legte die Akte am Rand des Schreibtischs ab, »ich will ehrlich zu Ihnen sein: Sie sind ein sehr kranker Mann. Die Tests belegen alle Symptome, die Dr. Combe in seiner meisterhaften Studie über die Autointoxikation des Darms beschreibt, genau wie ich vermutet habe. Die ausgezehrten Gesichtszüge, der traurige Ausdruck, das trockene Haar« – an dieser Stelle griff sich Will unwillkürlich an den Kopf –, »die tief in den Höhlen liegenden Augen, die belegte Zunge, der eingefallene Brustkorb, die spröden Fingernägel …« Der stürmische kleine Mann hielt inne, schnappte sich Wills Hand, inspizierte kurz die Fingernägel und ließ die Hand wieder fallen, bevor er fortfuhr. »Ganz zu schweigen von Herzklopfen, neurasthenischen Störungen, niedrigem Blutdruck, formlosem Stuhl, juckendem Ausschlag, Ekzemen und Furunkeln. Sie leiden nicht unter Gedächtnisverlust, oder? Besonders was Eigennamen betrifft?«
Will war wie vor den Kopf gestoßen. Furunkel? Neurasthenische Störungen? »Also, ich –«
»Namen flüchtiger Bekannte, diese Art Dinge? Ortsnamen, Städte, Staaten, Flüsse? Schnell, sagen Sie mir, wie heißt die Hauptstadt Paraguays?«
»Paraguays? Äh, das ist – äh, das ist doch Buenos Aires, oder?«
»Delaware? Schweden? Louisiana? Welches große Flußsystem teilt Brasilien in zwei Hälften?«
Der Dokter beugte sich jetzt über seinen Schreibtisch, seine Miene selbstgefällig und wissend, alle Verdachtsmomente bestätigt. Dab, der schwitzende Sekretär, war mit den Büchern fertig und schrieb jetzt in ein ledergebundenes Notizbuch, wobei er abwechselnd schrieb und sich mit dem Taschentuch die Stirn wischte, auf der mittlerweile Tintenflecken erblühten. Die Banane, die ihm der Doktor gegeben hatte, steckte achtlos in seiner Brusttasche, wo sie auf dem schwärzlichen Blau seines Anzugs hell wie eine Blume im Knopfloch leuchtete. »Der Amazonas«, sagte Will. »Und die Hauptstadt Louisianas ist, äh, New Orleans – stimmt’s? Und was haben Sie mich noch gefragt?«
»Ihre Frau ist eine wunderbare Frau«, sagte der Doktor unvermittelt, zusammenhangslos. »Sie haben wirklich Glück.«
Will rutschte nervös auf seinem Stuhl herum, Herzklopfen, tief in den Höhlen liegende Augen, spröde Fingernägel, und
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