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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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sich über die weißen Haarbüschel. Plötzlich blieb er stehen und wirbelte zu Will herum. »Haben Sie je die Lebensgewohnheiten der Bulgaren studiert, Mr. Lightbody? Nicht die der Stadtbewohner, sondern die der Hirten und Holzsammler auf dem Balkan und entlang des Rhodope-Gebirges?«
    Hatte Will nicht.
    »Nun, wie Metschnikow herausfand, leben sie erstaunlich lange. Vielleicht nicht so lang wie Old Parr, aber der ist die seltene Ausnahme, nicht wahr? Dennoch, im großen und ganzen, und Massai und Metschnikow haben diese These einer strengen statistischen Analyse unterworfen, leben diese rauhen Bergbulgaren länger als alle anderen Völker auf unserem schönen, mannigfaltigen kleinen Planeten. Und wissen Sie, warum?«
    Der kleine Doktor erwartete keine Antwort; soviel begriff Will, der sich allmählich von seiner Scham erholte. Er richtete sich im Stuhl auf, so daß die harten orthopädischen Bretter gegen seine Nieren drückten, und bewerkstelligte ein tiefes, fragendes Ächzen.
    »Joghurt.«
    »Joghurt?«
    »Joghurt.« Der Doktor strahlte, die dünnen Lippen zu einem knauserigen, triumphierenden Lächeln zusammengekniffen. »Das ist der Schlüssel. Weil Joghurt, Mr. Lightbody, der Hauptbestandteil des bulgarischen Essens, das gutartige Bakterium Lactobacillus bulgaricus enthält, welches die ungebändigten Bakterien austreibt, die pathogenen, Gift produzierenden B. welchii und Proteus vulgaris, die im erschöpften Organismus – in Ihrem erschöpften Organismus, Sir – implantiert werden durch die fäulniserregende Wirkung fleischhaltiger Lebensmittel. Wie Sir Arbuthnot Lane sagt: ›Der Darm ist eine ganz gewöhnliche Kloake.‹ Seine Flora müssen wir verändern.«
    Wills kritische Fähigkeiten schienen ausgemerzt von diesem reißenden Strom an Informationen und seltsamen Empfindungen, der im Verlauf der vergangenen vierundzwanzig verwirrenden Stunden über ihn hereingebrochen war. Er war geschlagen, fühllos, eine Masse Protoplasma, die den eisernen Sitz eines physiologischen Stuhls einnahm in einem hohen Raum in einem gigantischen Backsteingebäude in Battle Creek, Michigan. Er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
    Der Doktor wandte sich abrupt an seinen Sekretär. »Dab: den Diät- und Kurplan für Mr. Lightbody, bitte.«
    Schwitzend und schnaubend schleppte sich Dab durch den Raum – die Banane hing ihm aus der Tasche, der Kragen zwickte ihn in den Hals – und händigte dem Doktor zwei engbetippte Seiten aus, wobei er Blickkontakt mit Will vermied. »Ah, ja. Ja, ja«, murmelte Doktor Kellogg und wirbelte wieder herum. »Wir setzen Sie für die ersten drei Tage auf Psylliumsamen und hijiki. Psyllium, das Sie wie eine Arznei nehmen werden – und das ist eine ärztliche Anordnung, Sir, und ich werde keinerlei Abweichung davon dulden und auch keine albernen Spielchen mit den Diätassistentinnen im Speisesaal –, Psyllium, wie ich sagte, wirkt hygroskopisch; das heißt, es absorbiert Wasser und breitet sich in Ihrem Magen aus, und während es durch Sie hindurchläuft, scheuert es Sie so gründlich aus, als hätten Sie eine kleine Armee von Hausmeistern mit winzigen Schrubbern in Ihrem Magen. Das gleiche gilt für hijiki, eine japanische Algenart, die ich Dr. Tomada von der Kaiserlichen Schule für Medizin in Kioto verdanke. Es ist absolut unverdaulich. Als würden Sie einen Besen essen – aber dieser Besen wird Sie rein fegen, Mr. Lightbody, völlig rein fegen. Anschließend setzen wir Sie auf die Milchdiät.«
    Will war verwirrt. Joghurt, Milch, Algen: Und was war mit Essen? »Die Milchdiät?«
    »O ja, tut mir leid. Den Joghurt werden Sie zum größten Teil durch das hintere Ende aufnehmen, es handelt sich sozusagen um einen Angriff von zwei Seiten.« Der Doktor hielt inne, um seinen Scherz mit einem leisen, nachdenklichen Kichern zu goutieren. Pflichtbewußt fiel Dab ein, aber das Kichern verwandelte sich im Hals des Sekretärs zu einem Glucksen und dann zu einer Art gedrosseltem Keuchen, das überhaupt nicht mehr belustigt klang. »An dieser Stelle kommt Schwester Bloethal ins Spiel«, fuhr der Doktor fort. »Zweimal am Tag, zusätzlich zu den Klistieren nach den Mahlzeiten, werden Sie in den Darm eine Injektion mit Molke und Lactobacillus bulgaricus bekommen – das heißt, mit dem Joghurtbakterium, das in Bulgarien exklusiv für das Sanatorium gesammelt wird und nur hier verfügbar ist. Mit der Zeit werden wir die schädlichen Bakterien in Ihrem Darm ausrotten und ihn mit einer

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