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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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einen schlechten Roman.«
    Schwester Graves’ reines, reinigendes Lachen hallte im Flur wider, es war ansteckend und brachte vorübergehende Schwestern und Ärzte zum Lächeln, und es sandte einen Schauder durch Will, bis er sich wie der geistreichste Mann auf Erden fühlte, und sie lachte noch immer, als sie an die schwere, glänzende Eichentür von Dr. Kelloggs Büro klopfte. Will erkannte den gequält aussehenden übergewichtigen Mann, der die Tür öffnete, als Dr. Kelloggs Sekretär wieder, und hinter ihm erblickte er ein riesiges Büro mit hoher Decke, so hell erleuchtet und steril wie ein Operationssaal. Abgesehen von den Heizungsrohren verschaffte einzig die ununterbrochene Reihe der Porträts, die die drei sichtbaren Wände knapp über der Täfelung säumte, Erleichterung. Der Effekt war beunruhigend. Griechische Philosophen, gefeierte Vegetarier, Helden der Medizin und Industriekapitäne fixierten den armen, sich windenden Patienten mit steinernen, unbarmherzigen Blicken. Die ehrenwerten und berühmten Männer – Lord Byron, Isaac Newton, Ben Franklin, Abe Lincoln, Plato, Joseph Lister, Sylvester Graham –, alle schienen anklagend auf ihn herabzustarren, herauszuschreien, er möge das sündige Leben eines Karnivoren aufgeben und den Pfad vegetarischer Rechtschaffenheit beschreiten.
    »Mr. Lightbody?« erkundigte sich der Sekretär. Er tupfte sich die Stirn mit einem feuchten Taschentuch, als torkelte er mitten durch die arabische Wüste, obwohl die Temperatur draußen minus neun Grad betrug und im Inneren die zweiundzwanzig Grad herrschten, die der Boss verordnet hatte.
    »Ja«, antwortete Schwester Graves für ihn. »Mr. Lightbody hat um siebzehn Uhr fünfundvierzig einen Termin bei Dr. Kellogg.«
    »Wollen Sie bitte hereinkommen und sich setzen?« fragte der Sekretär, der sich jetzt die Brille wischte, als ob sie dank seines Körperklimas vor Feuchtigkeit tropfen würde. »Dr. Kellogg erwartet Sie.«
    Aber Will konnte sich nicht bewegen. Er stand unsicher auf der Schwelle, sein Herz hämmerte gegen seine Rippen (jetzt, jetzt würde er alles erfahren, so oder so, und dieser Gedanke lähmte ihn), er starrte auf den riesigen Mahagonischreibtisch in der Mitte des Raums, als wäre er ein Opferaltar. Auf der glänzenden Schreibtischfläche befanden sich lediglich drei Objekte: eine Lampe auf der einen Seite, ein Tintenfaß auf der anderen und eine dicke Akte mit Laborberichten in der Mitte. Aber seltsamerweise war Dr. Kellogg nirgendwo zu sehen – falls er sich im Zimmer aufhielt, mußte er sich unter dem Schreibtisch versteckt haben.
    »Nur zu, Mr. Lightbody«, sagte Schwester Graves, während ihn der Sekretär mit einer merkwürdig rollenden Bewegung seiner plumpen Hände hereinwinkte und eine Entschuldigung murmelte
    – irgend etwas von einem früheren Termin des Doktors –, als plötzlich eine erregte Stimme in seinem Rücken rief: »Ah! Mr. Lightbody, nicht wahr, wenn ich mich nicht irre.«
    Dr. Kellogg, ganz in Weiß, sauste zur Tür herein, drückte sich an Will vorbei wie ein Kind beim Fangenspielen, einen Obstkorb unter dem einen Arm, einen Stapel Bücher unter dem anderen. Mit einer einzigen schnellen Bewegung ließ er die Bücher in die nervösen Hände seines Sekretärs fallen und wirbelte mit dem Obstkorb herum zu Will und seiner Krankenschwester. »Schwester Graves, etwas Obst? Mr. Lightbody? Dab?«
    Der Korb war aus geflochtenem Stroh, sah aus wie aus Mother Goose und war gefüllt mit Äpfeln, Birnen, Orangen, die nicht zur Jahreszeit paßten, Bananen, Kumquats, Mandarinen und einem einzigen glänzenden kirschroten Granatapfel. Schwester Graves nahm eine Mandarine, die ordentlich in der Rundung der losen, wächsernen orangefarbenen Schale saß, Dab wählte eine Banane, wobei er kämpfen mußte, um eine Hand auszustrecken, ohne die Bücher des Doktors fallen zu lassen. Will, der noch immer in der Tür stand, langte verlegen nach dem Granatapfel, wobei er weniger daran dachte, ihn zu essen, als vielmehr ihn einfach in der Hand zu halten, ihn zu streicheln, alles, um den geschäftigen, gebieterischen kleinen Mann vor sich milde zu stimmen.
    »Aber Doktor«, setzte Dab zögerlich an, »glauben Sie … angesichts der Tatsache, daß –?«
    »Aber natürlich – wo habe ich nur meine Gedanken?« rief der Doktor, zog den Korb zurück, als wäre das Obst vergiftet, als hätte er Fliegenpilze oder Tollkirschen angeboten, als würde allein schon die Berührung töten. Im nächsten Moment

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