Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher

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Typ, der vorhin aus dem Truck geklettert war, schien nicht zu Hause zu sein.
    Doch das könnte sich schnell ändern. Er schlich zum Zaun, der den Hof begrenzte, und spähte hinüber. Ein schmaler Gang. Abgenutztes Kopfsteinpflaster, ein verdrecktes Abflussrohr, vergammelte Matratzen. Verschreckt warf sich eine räudige Katze auf den Bauch, als Wyatt sich über den Zaun schwang und neben ihr auf dem Pflaster landete. Niemand hatte ihn gesehen. Niemand schlug Alarm.
    Er blickte sich um. Links endete der Gang an einer Backsteinmauer, rechts, neben einem Spielplatz, mündete er in eine breite Straße. Diese Richtung, obwohl sie verlockend oder gerade weil sie verlockend war, schied aus. Zu übersichtlich. Er hastete in Richtung Backsteinmauer.
    Der Typ mit der Knarre war jung und pinkelte mal eben gegen ein offenes Fass mit Altöl, als Wyatt um die Ecke bog. Als der Junge zurückwich und spontan nach seiner Waffe im Gürtel griff, bekam seine Jeans noch ein paar Flecken ab.
    Wyatt blieb abrupt stehen und fixierte den Jungen und die Waffe.
    »Einen Schritt näher und ich rufe die anderen!«, sagte der Typ.
    Sein Gesicht war mit Aknepusteln übersät und sein Haar ebenso farblos wie seine blasse Haut. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Das tu ich wirklich«, sagte er und drehte den Kopf.
    Ein Mann, der es vorzog um Hilfe zu rufen, statt seine Waffe zu benutzen, war harmlos. Wyatt wusste das. Betont langsam und mit eisiger Ruhe ging er auf den Jungen zu und zog dabei seine .38er. Dann stieß er den Lauf unter das vernarbte Kinn des Kleinen und ließ ihn vernehmen, wie sich der Hahn spannte. »Das Ölfass — wirf deine Knarre rein.« Ein sanftes Plätschern und die Pistole sank unter die schillernde Oberfläche. Zuerst wollte Wyatt den Typen ausquetschen. Doch dann überlegte er es sich anders. Der hier war nur Befehlsempfänger. Antworten auf Wyatts Fragen hätte er nicht parat gehabt. Also schlug Wyatt ihn mit dem Lauf seiner .38er nieder und machte sich aus dem Staub.

    ACHT

    Er ging zurück zur Bushaltestelle an der Hoddle Street. Keine zwei Minuten hatte er dort unter den Hochbahngleisen gestanden, als er den Laser sah. Nur einige Blocks entfernt bog der Wagen aus einer Seitenstraße und hielt am Bordstein. Niemand stieg aus.
    Wenn sie ihn erledigen wollten, dann gewiss nicht hier, in aller Öffentlichkeit, vor jeder Menge Zeugen. Offenbar hatten sie ihn heute Morgen an der Bushaltestelle an der Lygon Street entdeckt und sich an seine Sohlen geheftet. Vielleicht waren sie ihm auch schon vom Motel aus gefolgt.
    Der Bus kam, Wyatt stieg ein und suchte sich einen Platz nahe dem Ausgang, von dem aus er den gesamten Bus, aber auch die Straße im Blick hatte. Die Frage drängte sich auf, wie straff organisiert die Bande war. Sollten sie mit Funkgerät oder Mobiltelefon ausgerüstet sein, könnten sie problemlos jemanden in den Bus beordern. Der Bus schob sich die Johnston Street entlang. Es stiegen nur wenige Fahrgäste zu und keiner von ihnen sah verdächtig aus. Rentner, einige Jugendliche — Mitglieder der Null-Bock-Fraktion —, Frauen auf Einkaufstour mit Kleinkindern im Schlepptau. Im sicheren Abstand folgte der Laser dem Bus auf seiner Route durch Collingwood und Fitzroy bis nach Carlton. Einige Fahrgäste machten sich bereit, an der Haltestelle Lygon Street auszusteigen. Wyatt ließ ihnen den Vortritt. Anders als auf der Straße, wo sie als eine Art rückwärtiges Schutzschild fungierten, wollte er hier keine Leute im Nacken spüren. Beim Aussteigen sah er, dass der Laser den Bus eingeholt hatte. Wyatt ging die Lygon Street entlang, Richtung Innenstadt. Vor Readings Buchladen machte er Halt, tat so, als betrachte er das Werbeplakat für den letzten Roman von Claire McNab, drehte sich unvermittelt um und rannte hinüber auf die andere Straßenseite. Mal sehen, wie gut ihr zu Fuß seid, dachte er. Mal sehen, ob ihr zusätzlich noch Unterstützung habt.
    Er lief die Faraday Street hinunter, vorbei an Leuten, die unter den Sonnenschirmen vor dem ›Genevieve’s‹ Kaffee tranken, und verschwand links in einer kleinen Seitenstraße. Nach ein paar Metern blieb er stehen und blickte sich um. Niemand war ihm gefolgt.
    Was aber nicht bedeutete, dass er sie abgehängt hatte. Während er weiterlief, stellte er Überlegungen an: Sie waren hier, in der Nähe, formierten sich, um ihren Plan zu realisieren. Das musste im Keim erstickt werden, und was lag da näher, als selbst den Köder zu spielen?
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