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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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bedenklich nach und ging er an einer Tür vorbei, so öffnete sich diese wie von Geisterhand. Doch seit einer Stunde lief die Heizung auf vollen Touren und große Kissen und helle Stoffe taten ein Übriges, dem Haus eine warme, behagliche Atmosphäre zu verleihen. Ungelenke Kinderzeichnungen hingen an der Kühlschranktür, obwohl Marion, die jetzt im Kerzenschein Tee zubereitete, nichts von einem Kind erwähnt hatte. Während sie in der Küche hin und her lief, berührte sie immer mal wieder Wyatts Arm. Sie schien offen, unkompliziert, aber vor allem stellte sie keine Fragen.
    Erst als sie sich auf dem Sofa an ihn kuschelte, kam es eher beiläufig: »Bist du auf der Flucht?«
    Er starrte sie an. »Wie kommst du darauf?«
    »Kein Auto, du reist mit leichtem Gepäck. Außerdem machst du auf mich nicht den Eindruck, als wärst du völlig abgebrannt oder zu geizig, um dir ein Hotelzimmer zu leisten.« Sie sah ihn eindringlich an. »Ich denke schon, dass du gerne die Nacht mit mir verbringen möchtest, aber du brauchst auch eine Bleibe für heute, und zwar eine sichere.«
    Er zuckte mit den Schultern, doch sie legte ihm eine Hand auf die Brust als Zeichen, dass Erklärungen überflüssig seien. »Das macht mir nichts aus«, sagte sie. »Ich weiß, dass du in Schwierigkeiten steckst. Aber ich vertrau einfach darauf, dass keins deiner Probleme dich bis hierher zu mir verfolgt.«
    Hinterher, in ihrem großen Bett, schlief sie sofort ein und er, auf einen Ellbogen gestützt, betrachtete sie eine Weile und mit einem Male erschien es ihm äußerst fragwürdig, dass er sich freiwillig ständig diesem Druck aussetzte.
    Als er am anderen Morgen — es war Mittwoch — aufstand, schlief sie noch. Er duschte, zog sich an, aß etwas Toast und trank einen Kaffee. Selbst als er ihren Nacken zum Abschied sanft berührte, wurde sie nicht wach, als fühlte sie sich völlig sicher und geborgen. Er nahm ihre Autoschlüssel und hatte gerade eine kurze Mitteilung hingekritzelt, als er das Quietschen des Gartentors hörte.
    Wyatt erstarrte. Es blieb ihm keine Zeit zum Handeln, denn ein Schlüssel drehte sich im Schloss der Eingangstür und ein Mann schob ein kleines Kind ins Haus. Sollte das der Vater sein, dann war er einer von der humorlosen Sorte; verschlafen, das rotblonde Haar ungekämmt, unrasiert und bekleidet mit offensichtlich nagelneuen Stretchjeans, die in Bauch und Genitalien schnitten. Er warf seinem Sohn einen Turnbeutel und feuchte Bett-wäsche vor die Füße. »Mal sehen, was deine Mutter zur Abwechslung dazu sagt.«
    Erst jetzt bemerkte er Wyatt und schlagartig verdüsterte eine Mischung aus Ignoranz und Gehässigkeit seine Miene. »Na großartig. Ein tolles Beispiel für mein Kind.«
    Er warf die Tür hinter sich ins Schloss und war verschwunden. Wyatt und der Junge starrten einander an. Wyatt probierte es mit einem Lächeln, doch es erstarb, als der Junge anfing zu keuchen. Der schmale Brustkorb hob und senkte sich, verzweifelt versuchte die Hand die Kordel der Jacke am Hals zu lockern — der Kleine mochte kaum älter sein als acht, doch er schien dem Tode nah.
    »Hast du Medikamente?«, fragte Wyatt.
    Nur mit Mühe drehte der Junge sich um und deutete auf den Turnbeutel. Wyatt öffnete den Reißverschluss. Zwischen der schmutzigen Wäsche fand er das Asthmaspray, eine hellblaue Plastikflasche, in etwa so groß wie der gekrümmte Daumen eines Mannes.
    Der Junge riss ihm die Flasche aus der Hand, schob sich das gekrümmte Ende in den Mund und fing an, gierig zu inhalieren. Er stand ganz still, mit geschlossenen Augen, dann schwankte er plötzlich und Wyatt packte ihn mit beiden Händen an der Taille. Für einen kurzen Moment überkamen ihn unbekannte Gefühle. Zuneigung und Anteilnahme.
    »Besser?«
    Der Junge nickte.
    »Willst du dich zu deiner Mum ins Bett legen?«
    Wieder nickte der Junge. Wyatt nahm ihn an die Hand und ging mit ihm über den bedenklich schwankenden Boden im Flur.

    DREIZEHN

    Eine Stunde später wartete Wyatt auf den Zug nach Sydney. Da nicht auszuschließen war, dass das Syndikat den Bahnhof in Melbourne observierte, hatte er sich für eine Station außerhalb der Stadt entschieden, an der der Zug halten würde. In Wodonga würde er aussteigen und den Rest der Fahrt mit dem Bus zurücklegen. Sein Ziel war nicht der Hauptbahnhof von Sydney, sondern Strathfield. Er trieb sich am Ende des Bahnsteigs herum. Sollte ihm irgendetwas verdächtig erscheinen, konnte er hier zwischen den Schuppen und Waggons, aber

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