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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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auch hinter den Stapeln ausrangierter Gerätschaften problemlos abtauchen.
    Der Zug fuhr ein. Wyatt ging zu seinem Platz. Den Kragen hochgeschlagen, das Gesicht den endlosen Weiten zugewandt, die hinter dem Fenster vorbeizogen, döste er vor sich hin.
    Er ließ sein Ticket entwerten, ohne mit dem Schaffner auch nur einen Blick zu tauschen. Niemand sprach ihn an. Niemand hatte das Bedürfnis, ihn anzusprechen.
    Um 21.15 Uhr traf der Bus aus Wodonga in Strathfield ein. Wyatt war nicht der Einzige, der ausstieg. Er wartete auf sein Gepäck und mischte sich dann unter das Kommen und Gehen auf dem Busbahnhof. Niemand hielt ihn auf, niemand pöbelte ihn an. Kein Rufen oder Pfeifen, das ihm galt, keine Hand, die ihn berührte.
    Gemächlichen Schrittes verließ er den Busbahnhof. Erst sollte sich der Trubel etwas legen. Die Atmosphäre gab ihm neue Kraft, es roch nach Sydney — der anregenden Duft von Risiko und Leichtsinn. Nachdem der erste Andrang vorüber war, ging er zurück zum Gebäude. Ein einsames Taxi stand am Halteplatz.
    »Dachte schon, ich krieg keinen mehr ab«, begrüßte ihn der Fahrer.
    »Na dann haben Sie ja Glück gehabt«, erwiderte Wyatt leichthin. Glück lag in der Luft. Er konnte es förmlich spüren, wenngleich er sich sagte, dass derartige Empfindungen völlig absurd seien.
    »Newtown.«
    »Newtown«, wiederholte der Fahrer, erstaunt darüber, dass sein Fahrgast in diesem Falle nicht am Busbahnhof in der Innenstadt ausgestiegen war. Sie fuhren durch Vororte mit viel Grün und roten Ziegeldächern. Der Lorbeer blühte. Die agilen Silhouetten einiger Skater glitten im Mondlicht dahin, selbstbewusst kurvten garagengepflegte Wagen ausländischer Marken durch den Verkehr, dazu die sich sanft windenden Straßen zu Füßen der an Hängen gelegenen Vororte — nach der flachen Einöde Melbournes wirkte das hier wie ein Stimulans. Wyatt atmete tief durch und ließ sich in den Sitz zurückfallen. »Fahren Sie hier irgendwo ran«, sagte er, als sie schließlich Newtown erreicht hatten. Er zahlte und stieg aus.
    Er ging direkt zum Broadway. Überall Menschen, die gerade aus Restaurants, Pubs oder von Imbissbuden kamen. Einige Lebensmittelläden und Videotheken hatten noch geöffnet. Er schob sich vorbei an einer Gruppe Angetrunkener, die in bester Stimmung mit einem fliegenden Schmuckhändler über die Preise verhandelten und ihre Finger nicht von seiner auf schwarzem Samt ausgelegten Ware lassen konnten. Hinter der nächsten Kreuzung sah Wyatt das Dorset Hotel, den Ort, den Rossiter ihm genannt hatte.
    Als er an dem Nachtcafé gegenüber dem Dorset vorbeikam, machte sich sein leerer Magen bemerkbar. Er ging hinein, bestellte Foccacia und Kaffee, setzte sich hin und beobachtete das Hotel. Das Beobachten geschah aus reiner Routine; Probleme erwartete er nicht.
    Dreißig Minuten später war er überzeugt davon, dass die Luft drüben rein war. Er bezahlte und ging über die Straße. Durch die massive Eingangstür des Hotels gelangte man in eine Lobby von den Ausmaßen eines Tennisplatzes. An einem Ende standen zwei Clubsessel, die auf einen Kamin und ein altes Fernsehgerät ausgerichtet waren. Zwar lief das Fernsehbild, der Ton aber war abgestellt. Am anderen Ende, direkt neben der breiten Treppe, befand sich eine auf Hochglanz polierte Rezeption. Aus den Fächern dahinter baumelte ein gutes Dutzend Schlüsselanhänger. Die Hotelangestellte rauchte eine Zigarette, blätterte in einer Zeitschrift und erinnerte irgendwie an Sybil Fawlty aus ›Fawlty Towers‹. Der Rauch ihrer Zigarette vermochte den Geruch nach Holzpolitur nicht völlig zu überlagern. Das Dorset war eine solide, gepflegte, wenn auch in die Jahre gekommene Herberge. Das erkannte man auf den ersten Blick. Die niedrige Decke wurde von Säulen gestützt, die in regelmäßigem Abstand gesetzt waren, Binderfarbe an den Wänden und ein dezent schimmernder dunkler Fußboden. Wyatt wollte zu den öffentlichen Fernsprechern in der Ecke; um nicht von der Frau an der Rezeption bemerkt zu werden, ging er an der Seite entlang. Es gab drei Telefone, installiert in geräumigen altmodischen Kabinen mit pneumatischen Türen aus Holz und Glas. Er schlüpfte in die erste Kabine, suchte sich die Nummer des Dorset heraus und wählte.
    Er sah, wie die Frau den Hörer abhob, dann hatte er ihre Stimme im Ohr: »Dorset Hotel. Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich habe eine Nachricht für Frank Jardine«, sagte Wyatt. »Könnten Sie ihm bitte ausrichten, dass der Wagen in

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