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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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aus Templestowe hinausführten. Auf der Höhe Doncaster Road gelangten sie auf den Freeway. Stadteinwärts war kaum Verkehr. Hoch über ihnen sandten die futuristisch anmutenden Leuchten ihre großzügigen Lichtkegel hinunter auf die breit und verträumt daliegenden Fahrspuren. Wyatt folgte Jardine bei konstant 90 Stundenkilometern durch eine Niederung, die die Nähe von Straßenfluchten, Steinwüsten und drei Millionen Menschen nicht mal erahnen ließ.
    Höhe Hoddle Street verließen sie den Freeway. In einer Seitenstraße hatten Saab und Telecom-Fahrzeug ausgedient und wurden gegen zwei Mazdas ausgetauscht, die Wyatt und Jardine im Laufe des Tages dort abgestellt hatten. Jardine hatte die Autos mit falschen Papieren bei unterschiedlichen Verleihfirmen gemietet. Wieder fuhr Wyatt Jardine hinterher, wieder hielten sich beide strikt an die Verkehrsregeln. Der letzte Fahrzeugwechsel erfolgte am Windsor Hotel in der Spring Street, da bekanntlich dort immer Taxis standen. Aus Sicherheitsgründen hielt Jardine gleich gegenüber vom Taxistand, stieg aus, überquerte die Straße und ließ sich auf die Rückbank des ersten Taxis fallen. Es fuhr los und Wyatt folgte ihm im Abstand von drei Wagenlängen durch Fitzroy, Carlton und Clifton Hill. Es war 20.30 Uhr.
    Um 20.45 Uhr waren sie in Northcote. Wyatt parkte in zweiter Reihe weit hinter dem Taxi, machte die Scheinwerfer aus und beobachtete, wie Jardine bezahlte, ausstieg und die Milchbar an der Ecke ansteuerte. Der Fahrer blieb noch eine Minute stehen, trug die Fahrt ein, es folgte ein kurzer Dialog mit der Taxizentrale, dann rauschte er davon. Wyatt fuhr vor zur Milchbar, sammelte Jardine ein und bog in eine andere Straße ab.
    Den Mazda ließen sie zwei Blocks entfernt von ihrem Haus stehen und legten den Rest zu Fuß zurück. Jardine hatte nicht verstanden, warum das alles nötig war. »Du kannst mir vertrauen«, hatte er am Nachmittag zu Wyatt gesagt, »ich renn dir schon nicht davon.«
    »Das weiß ich«, hatte Wyatt erwidert, »aber ich kann dem Syndikat nicht vertrauen. Wir bleiben die ganze Zeit zusammen. Wenn du im Blickfeld bist und angegriffen wirst, weiß ich, was zu tun ist. Bist du’s nicht und sie greifen an, erfahre ich es nicht mal.«
    Jardine hatte genickt. »Du hast an alles gedacht — fast ein bisschen obsessiv, könnte man sagen.«
    »Nur so bleibt man am Leben.«
    20.55 Uhr. Die Straßen waren menschenleer und versanken in der Dunkelheit, als die letzten Lichter über den Veranden erloschen. Wyatt und Jardine schlichen auf das Grundstück und gingen zweimal um das Haus. Beim ersten Mal überprüften sie den kleinen Hof, beim zweitem Mal die Klebestreifen, mit denen Wyatt Fenster und Türen versiegelt hatte. Sie waren unbeschädigt.
    Auch die Eingangstür war unberührt geblieben. Jardine ging als Erster hinein, die Tasche mit dem Geld über der Schulter. »Geschafft«, sagte er und hielt Wyatt die Tür auf.
    »Abwarten«, meinte Wyatt.
    Sie waren zu Hause, hatten das Geld und dennoch ließen Wyatt die düsteren Ahnungen nicht los. Er stand jetzt im Flur, dicht hinter Jardine, als der den Lichtschalter betätigte. Es klickte einmal, dann ein weiteres Mal, doch es blieb dunkel. Wyatt wollte gerade »warte« sagen, als ihm die Worte im Halse stecken blieben. Er hörte das feine Schnappen von Metall, als jemand ein Geschoss in das Patronenlager einer halbautomatischen Waffe beförderte.
    Der Schütze arbeitete mit Schalldämpfer und der Schuss klang wie ein ersticktes Husten. Im selben Moment bäumte sich Jardines Körper auf. Wyatt versuchte, dem großen Mann auszuweichen, sich wegzudrehen und wollte nach seiner .38er greifen, doch Jardine fiel nach hinten und riss Wyatt mit zu Boden. Das Gesicht auf dem zerfransten, staubigen Teppich, spürte er, wie sich seine Rückenmuskeln in Erwartung eines zweiten Schusses verkrampften.
    Doch es gab keinen zweiten Schuss. Stattdessen hörte er, wie die Waffe vergeblich gespannt wurde und er spürte die Panik dahinter. Die Waffe hatte eine Ladehemmung. Das kam vor bei einer Halbautomatik. Deshalb benutzte Wyatt sie nur selten. Er versuchte sich hochzurappeln, wand sich hin und her und befreite schließlich seinen Oberkörper von Jardine.
    Doch das sollte ihm nichts nützen. Er sah noch, wie ein Arm in seine Richtung schwang, die Pistole wie eine Schlagwaffe in der Hand, und zog den Kopf ein, als würde sein Schädel dadurch elastischer. Der Rest war nur noch Schmerz.

    FÜNFUNDDREIßIG

    Er wusste nicht, wie lange

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