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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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er so dagelegen hatte. Er blinzelte, kam langsam zu sich und drehte den Kopf, um auf die Uhr zu sehen. Das war ein Fehler. Schmerz durchzuckte ihn und am Kopf fühlte er ein leichtes Puckern. 21.15. Lange war er nicht bewusstlos gewesen. Ein unruhiges, flaches Röcheln rückte Jardine in sein Bewusstsein und sofort spürte er das Gewicht des Freundes auf seinen Beinen.
    Er kämpfte sich unter Jardine hervor — diesmal traf ihn der Schmerz nicht unvorbereitet —, kam unsicher auf die Beine und ging ins vordere Zimmer zum Lichtschalter. Das Licht, das jetzt in den Flur fiel, war ausreichend, um zu erkennen, dass Jardine am Kopf getroffen war. Sein Oberkörper war voller Blut und auch der Teppich unter ihm. Vorsichtig tastete er den Kopf ab, konnte aber nur feststellen, dass das Haar blutverklebt war. Wyatt lehnte sich an die Wand und dachte nach. Die Tasche mit dem Geld war weg. Jardine brauchte Hilfe. Die Waffe hatte gestreikt, also würde jemand vom Syndikat zurückkommen, um den Job zu Ende zu bringen. Vermutlich Rose. Von Anfang an war sie sein gefährlicher Schatten gewesen. Sein Blick fiel auf einen Fleck an der Wand. Er verfolgte seine Spur und fand weitere Flecken. Teilabdrücke von Schuhen, die nach oben bis zu einer Einstiegsöffnung in der Decke führten. Sie war durchs Dach gekommen und hatte die Glühbirne herausgedreht. Er benutzte das Telefon in der Küche. Eigentlich hatte er Eileen oder Ross erwartet, nicht den Sohn. Der sollte doch in Untersuchungshaft sein. Wyatt nannte seinen Namen nicht. »Ist dein Vater da?«
    »Ich hol ihn«, sagte Niall Rossiter.
    Als Rossiter sich meldete, sagte Wyatt: »Ich brauch einen Arzt, der keine Fragen stellt.«
    Rossiter musste das kurz verdauen. »Bist du schwer verletzt?«
    »Jardine wurde am Kopf getroffen.«
    »Lass mich nachdenken«, sagte Rossiter und Wyatt hatte das Gefühl, ihm dabei zuhören zu können. »Ounsted vielleicht.«
    »Hab ich schon mal gehört. Wie kann ich den erreichen?«
    »Hm ... der zieht alle paar Monate bei Nacht und Nebel um«, sagte Rossiter, »warte ’ne Sekunde.« Noch bevor Wyatt Rossiter warnen konnte, nichts auszuplaudern, fiel auch schon der Hörer klappernd auf eine harte Unterlage.
    Rossiter kam wieder und gab ihm eine Adresse und eine Telefonnummer in Carlton. »Eileen meint, sie ist noch aktuell.« Er machte eine kurze Pause und fragte dann: »Was ist schief gegangen?«
    »Ich muss noch ein paar Dinge erledigen«, erwiderte Wyatt mit einer Eiseskälte, die Rossiter am anderen Ende der Leitung wohl durch Mark und Bein ging. »Klar«, sagte er hastig und legte auf.
    Wyatt verfrachtete Jardine in den Mietwagen und brachte ihn zu der angegebenen Adresse. Eine Straße voller Grün, wo der Doc ein unscheinbares kleines Haus mit grauer Zementfassade bewohnte, das von den beiden prächtigen Klinkerbauten rechts und links fast erdrückt wurde. Die Anwohnerschaft setzte sich überwiegend aus Akademikern, Medienleuten und Joga-Jüngern zusammen, die entweder Landcruiser oder VW-Cabrios fuhren. Ounsteds Wagen war nicht zu übersehen, er passte zum Haus; ein Peugeot-Kombi, uralt, mit ausgeleierter Federung und verrosteten Türen. Der Mann, der auf Wyatts Klopfen reagierte, war schmächtig, dürr und trug einen zerknitterten Anzug mit ausladenden Revers. Er roch nach Whisky und Zigaretten und versuchte, durch fahrige Bewegungen seiner Nikotinfinger davon abzulenken. Sein Teint hatte die kalkige Blässe eines Menschen, der das Sonnenlicht scheut. Wyatt schätzte ihn auf sechzig, doch vermutlich war er jünger. Vor fünfzehn Jahren hatte man Ounsted die Approbation entzogen und seitdem verarztete er Patienten, deren Wunden und Leiden in staatlichen Kliniken für eine Menge Aufregung sorgen würden. Er organisierte Morphium, nähte Schnittwunden und behandelte Schussverletzungen.
    »Hinter dem Haus ist eine Gasse«, sagte er zu Wyatt, »fahren Sie dorthin, während ich alles für den Eingriff vorbereite. Wir bringen Ihren Freund durch die Hintertür rein.«
    Die Gasse war sehr schmal und der Mazda holperte über das Pflaster aus graublauem Sandstein. Ungefähr in der Mitte hielt Wyatt an, ließ den Motor im Leerlauf und wartete, dass Ounsted das Tor öffnete. Mit Ausnahme von Ounsteds Haus waren die rückwärtigen Fassaden der umliegenden Häuser im Laufe der letzten Jahre renoviert worden. Manche hatten sogar Spaliere, an denen sich Jasmin emporrankte. Das Tor zu Ounsteds Grundstück war ein verzogenes, etwa vier Meter hohes Holzgatter, das

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