Willkür
nickte. »Wenn du mich brauchst ... ich schau mich mal ’n bisschen um.«
Jardine holte eine schwere Bohrmaschine aus der Tasche und machte sich an die Arbeit. Wyatt ließ ihn allein und setzte erst mal die Alarmanlage und das elektrische Tor außer Funktion. Dann spazierte er durchs Haus auf der Suche nach Zufallsfunden. Obwohl er davon ausgehen konnte, dass der eigentliche Preis für ihre Anstrengungen im Safe lag, zog es ihn instinktiv in dunkle Ecken, hin zu den verborgenen Gelegenheiten.
Ein weiterer Grund: Er wollte sich nicht länger in der Nähe der Mesics aufhalten. Ihr Hass aufeinander war derart ausgeprägt, dass es ihm regelrecht bitter aufstieß. Irgendwie war der Wurm drin in dieser Operation. Klar, sie hatten ihre Hausaufgaben gemacht, alles lief rund — zu rund für seinen Geschmack. Für ihn war es die Ruhe vor dem Sturm.
Zuerst nahm er sich das Schlafzimmer vor. Auf einer Frisierkommode lag eine Louis-Philippe-Uhr und eine Brieftasche voller Fünfziger und Hunderter. Er zählte rasch durch und kam auf etwa tausend Dollar. Geld und Uhr wanderten in seine Tasche, dann waren die nächsten Zimmer dran. Doch es fand sich nichts Brauchbares mehr. Nur eine Menge Bilder, Vasen, überladene Uhren — in seinen Augen alles Plunder.
Er machte sich auf den Weg zurück ins Arbeitszimmer. Unten würdigte er die an den Heizkörper gefesselten Mesics keines Blickes. Jardine hatte gerade den Schreibtisch gekippt, um den Raum so gut wie möglich vor der Explosion zu schützen. Jetzt war er dabei, die Löcher zu füllen. Wyatts Gegenwart schien er nicht zu bemerken.
Der verließ das Arbeitszimmer und begab sich hinaus ins Freie. Sein Element war die Stille, konsequenterweise mied er den Kiesweg und schlenderte über den Rasen zu Victors Haus. Es war das Haus des alten Mannes gewesen und es war voll gestopft, auf jeder freien Fläche drängelten sich Vasen und Figürchen, die Bilder an den Wänden thematisierten Buschhütten-Romantik und hatten Trödelmarkt-Flair. Kompakte Sitzmöbel aus Pinienholz, bezogen mit rotem und grünem Leder, wuchtige Kommoden und Anrichten, ebenfalls aus Pinie, besorgten den Rest. Das vorherrschende Material aller übrigen Oberflächen war blendend weißer Hochglanzlack.
Wyatt benötigte kaum zehn Minuten, um eine weitere Armbanduhr, dreihundert Dollar und ein vergoldetes Feuerzeug zu entdecken.
Wieder draußen, lauschte er in die Dunkelheit hinein. Verkehr in der Ferne, in einer Nebenstraße beschleunigte gerade ein Auto, hier und da Geräusche aus den Häusern gegenüber. Kein Lüftchen wehte. Er glaubte fast, das Blut in seinen Adern zu hören. Langsam fühlte er sich besser. Er liebte es allein zu sein, er liebte das Risiko, der Nervenkitzel war wie eine Droge für ihn.
Zurück in Leos Haus, wurde er von Jardine mit den Worten »Fertig zur Sprengung« empfangen. Sie standen in der Halle. Die Explosion verursachte viel Lärm und Rauch, doch Jardine hatte dafür gesorgt, dass die Sprengwirkung auf die Tür des Tresors beschränkt blieb. Als der Rauch sich verzogen hatte, sah Wyatt, dass sie nur noch an einer Angel hing. Das Geld war da, es hatte die Explosion unbeschadet überstanden. »Bedien dich«, sagte Jardine.
Wyatt überschlug den Betrag. Es mussten über zweihunderttausend Dollar sein. Mehr wollte er gar nicht wissen. Er stopfte die Bündel in eine Nylontasche und hätte sich gern sicher gefühlt, wohl wissend, dass dieses Gefühl sich erst einstellen würde, wenn er weit weg war von hier. Verglichen mit den Millionen, die die ›Operation Mesic‹ dem Syndikat einbringen würde, waren diese zweihunderttausend ein Klacks. Was nicht zwingend hieß, dass Kepler bereit sei, darauf zu verzichten. Er zog den Reißverschluss der Tasche zu und ging in die Halle, wo Jardine auf ihn wartete. »Wir kriegen euch«, rief einer der Brüder ihnen nach. Doch Wyatt ließ einfach nur die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
***
Leo hatte den Betrunkenen aus dem Volvo erkannt. Nur diesmal war der Typ ganz er selbst. Der Zweite sagte ihm nichts, sein Stil hingegen um so mehr — Effizienz und eine undurchdringliche Miene. Das Benehmen der Männer war alles andere als liebenswürdig, aber nicht roh. Sie entschuldigten sich nicht, sprachen ruhig und nur das Nötigste, erklärten nicht, wer sie seien oder was sie vorhätten. Ihr Vorgehen war völlig mechanisch, sie wirkten fast desinteressiert und Leo schloss sich dem an. Im Nachhinein empfand er Bax’ Ratschlag als vernünftig. Diese
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