Willküra (German Edition)
den er so drapierte, dass der Rotweinfleck verdeckt war. Ein bisschen musste er sich dafür zwar nach vorne beugen, und leicht schief nach links gedreht gehen, damit von dem Fleck nichts zu sehen war, aber es war die einzige Möglichkeit, jetzt in die Stadt zu kommen.
»Am Ende, mein Junge«, hatte ihm seine Mutter einmal mit sehr traurigen Augen gesagt, als ein Teil eines schlimmen Alptraums von ihm wahr geworden war, »sind die schlimmsten Alpträume, die wir einfältigen Menschen haben können, nichts gegen das, was uns das Leben in seiner Härte tatsächlich antut!«
Mit dieser doppelten Angst aufgeladen schloss Jamel die Wohnungstür hinter sich zu.
14
»Warum willst du mich ausgerechnet im Bohnengarten treffen, König? «
»Nenn mich endlich Willkürherrscher, Schwester! Wir treffen uns hier, weil mir ein wenig nach Natur ist.«
»Kannst du dich nicht mit jemand anderem in der Natur treffen? Ich habe heute einen recht vollen Zeitplan und bin insgesamt nicht gut gelaunt.«
»Gut, ich hatte zwar eine längere Rede geplant, aber dann mach ich es kurz: ich werde heiraten!«
»Waaaas?«
»Schön, wie du dich für mich freust!«
»Ich freue mich natürlich, es kommt nur sehr unerwartet. «
»Sie heißt Amanus, ist die Cousine des Gerolat und in drei Tagen kannst du dir was Schickes überziehen, dann ist nämlich Hochzeit.«
»Aha. Okay. Gut. Herzlichen Glückwunsch!«
»Willst du sie vielleicht kennen lernen?«
»Nein. Äh, ja. Natürlich. Aber nicht jetzt. Ich muss jetzt sofort los. Entschuldige.«
15
Gerolat hatte schon zwei Mal geklingelt. Er würde es noch ein drittes Mal versuchen, bevor er sich einen Plan B würde ausdenken müssen. Dabei widerstrebte ihm ein Plan B. Er wollte einfach seinen Plan durchziehen.
Hieß ein Plan eigentlich automatisch Plan A? fragte er sich dabei. Muss ja fast, sonst wäre die Bezeichnung Plan B ja unsinnig. Warum sagte dann aber keiner, dass er einen Plan A hatte, sondern einfach nur einen Plan?
Mit dem Willkürherrscher hätte er diese sprachliche Ungereimtheit bestens erörtern können, dachte Gerolat. Stundenlang konnten sie damit zubringen. Fast wünschte er sich jetzt, er wäre am Hofe. Oben im Schloss.
Dabei wollte er gar nicht mehr zurück. Auf dem Weg hier runter in die Stadt hatte er entschieden, dass er mit der Kursleiterin den Rest seines Lebens verbringen wollte. Er würde mit ihr Kurse geben und dem Hof für immer den Rücken kehren.
Der Hof, der ihn nie ernst genug genommen hatte, der ihn erniedrigt hatte und für den er den Rest seines Lebens die Drecksarbeit würde machen müssen. Gerolat hier, Gerolat da! Das war das Einzige, was der Willkürherrscher wirklich konnte. Herumschreien und befehlen. Er selbst war am Ende seiner möglichen Karriere angelangt, denn er hatte nun jahrelang diesen Job ausgeführt und jetzt reichte es.
Die Tür ging auf.
»Ja?«
»Kursleiterin!«
»Ja?«
»Ich bin es, Gerolat!«
Die Kursleiterin schaute Gerolat an, nicht allzu erstaunt, und bat Gerolat herein. Sie fragte ihn gar nicht danach, was er wollte, sondern machte ihm routiniert einen Kakao und reichte ihm ein paar Kekse dazu.
»Selbst-gebacken«, hatte sie hinzugefügt, als sie den Teller mit den Keksen auf den Tisch gestellt hatte. »Aber nicht von mir, sondern vom Bäcker an der Ecke.«
Gerolat lächelte verliebt. Die Kursleiterin hatte diesen schrägen Humor, bei dem er nie genau wusste, ob sie es überhaupt scherzhaft meinte. Darin lag vielleicht der besondere Reiz, den sie auf ihn ausübte.
Nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten, nur unterbrochen durch das Kakaoschlürfen und das Knabbern der Kekse, hatte Gerolat endlich genug Mut angesammelt, sein Anliegen vorzubringen.
»Kursleiterin! Ich habe eine neue Kursidee für dich. Für uns!«
Gerolat schaute die Kursleiterin erwartungsvoll an.
Die Kursleiterin schien nicht sonderlich erstaunt, aber zu Gerolats Bedauern auch nicht sonderlich erwartungsvoll.
Er musste ihre Reaktion jetzt ignorieren und weiterreden, denn es war seine Chance bei ihr. Vielleicht seine einzige.
»Die Kursidee ist: Das höfliche Vorstellen mit Reimen!«
Die Kursleiterin nahm den letzten Schluck Kakao aus ihrer Tasse und nickte.
»Das klingt ganz interessant, aber …«
Gerolat unterbrach die Kursleiterin ungern, aber er musste jetzt damit raus, sonst würde es für immer in ihm stecken bleiben und er würde doch noch einen Plan B brauchen, den er ja nicht brauchen wollte.
»Und ich habe noch eine
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