Willküra (German Edition)
läuft!«
Die Schwester des Willkürherrschers glaubte nun endgültig, dass schön und klug zwei Attribute waren, die wohl nicht gleichzeitig in einem männlichen Körper Platz fanden.
»Es gibt aber niemanden hier in der Umgebung, der mit dem Willkürherrscher unzufrieden ist«, rechtfertigte Jamel seine mangelnde Aktionsbereitschaft. »Und von einer Untergrundorganisation habe ich noch nie was gehört.«
»Das kann doch nicht sein!«, empörte sich die Schwester des Willkürherrschers. »Was seid ihr denn für ein tumbes Volk? Wo es einen Machthaber gibt, muss es doch auch eine Opposition geben. Und die beste Opposition ist das Volk selbst.«
Jamel schüttelte seinen Kopf.
»Kluge Köpfe müssen sich aufbäumen, die Masse muss mitziehen, ihr habt es doch in der Hand, was hier mit euch passiert! Einer gegen alle, also alle gegen einen!«, redete sich die Schwester des Willkürherrschers in Rage. »Der Willkürherrscher lässt seine Gemächer umbauen, und auf wessen Kosten? Auf eure Kosten. Er wird Hochzeit feiern, und glaub mir Jamel, die wird er sich was kosten lassen. Aber wieso eigentlich sich? Ihr seid doch diejenigen, die das zahlen. Was ihn reich macht, macht euch arm. Jedes Geld, was er hat und ausgibt, ist aus eurer Tasche. Und ihr lebt hier unten in diesen einfachen Verhältnissen und ärgert euch nicht darüber?«
»Nicht dass ich wüsste« überlegte Jamel »keiner ärgert sich so wirklich über den Willkürherrscher.«
»Genauso war es ja eigentlich auch geplant«, murmelte die Schwester des Willkürherrschers so leise, dass Jamel es nicht verstehen konnte. »WED arbeitet scheinbar besser als ich es erwartet hätte.«
Sie ging hektisch hin und her, rieb sich die Schläfen und überlegte.
»Sehr schlechtes Timing, sehr schlecht«, murmelte sie vor sich hin, »das passt jetzt alles gar nicht mehr so wie angedacht.«
Die ganze Zeit über war die Schwester des Willkürherrschers davon ausgegangen, dass es im Volk Gegner des Willkürherrschers gab. Das hatte sie nie hinterfragt oder überprüft. Um diese Gegner zu treffen hatte sie die Affäre mit Jamel angefangen. Sie wollte den Hass auf den Willkürherrscher schüren, die Meute aufhetzen, und dann mit allen an den Hof ziehen, um den Willkürherrscher zu stürzen.
Sie hatte sich dabei eine riesengroße Menge an Menschen vorgestellt, die in einem langen Marsch hinter ihr her ziehen würde. Jamel, als Anführer des Volkes, würde leicht versetzt hinter ihr gehen. Ja, sie hatte förmlich schon die Kupferstiche gesehen, die von dieser Prozession angefertigt werden würden, um für immer als Dokument der Geschehnisse zu dienen und daran zu erinnern, dass es die Schwester des Willkürherrschers gewesen war, die das Volk vom Willkürherrscher befreit hatte. Generation um Generation würde die Geschichtsbücher aufschlagen und genau das lernen. Sie wäre für immer verewigt!
Wie dumm, dass sie die Gegner des Willkürherrschers nicht auch als unsicheren Parameter eingestuft hatte, denn das brachte sie jetzt in diese unerwartete Lage, dass sie nicht wusste, was sie nun tun sollte.
Sie ärgerte sich maßlos über sich selbst. Sie hätte das alles zumindest als Möglichkeit vorhersehen können, nein, müssen!
Natürlich war die Bevölkerung zufrieden mit dem Willkürherrscher. Denn genau das war ja das Ziel der Zusammenarbeit mit WED: die Bevölkerung wurde in Momenten der Aufregung ohnmächtig, der Moment der größten Aufregung wurde in der Ohnmacht für immer aus deren Gedächtnis gelöscht und die Aufregung ins Gegenteil verkehrt. Sie erkannten danach nur Gutes in den Taten des Willkürherrschers. So würden sie nie unzufrieden sein und den Willkürherrscher auf Dauer mit ihrer Ergebenheit in den Wahnsinn treiben.
Als Folge hätte der Willkürherrscher die Macht früher oder später an sie übergeben. An wen auch sonst, sie war seine einzige Verwandte.
Es war alles so perfekt durchdacht gewesen. Seit Jahren! Sie hatte Fürchtedich IX. den Vertrag mit WED schließen lassen, bevor ihr Bruder zum Willkürherrscher geworden war, damit der ganze Plan aufgehen konnte. Und genau dieser Vertrag sollte ihr jetzt, kurz vorm Ziel das Genick brechen?
Sie dachte nach. Nein, nicht WED brach ihr das Genick.
Alles war ja genau in die richtige Richtung und nach Plan gelaufen bis Amanus aufgetaucht war.
Amanus war Schuld an ihrer momentanen Situation. Nur wegen ihr hatte der Willkürherrscher plötzlich einen neuen Lebenssinn gefunden.
Die
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