Willküra (German Edition)
fragte die Schwester des Willkürherrschers streng.
»In der Schublade neben dem Bett.«
»Seit wann?«
»Die ganze Zeit.«
Die Schwester des Willkürherrschers prüfte Jamels Blick.
»Du lügst!«
»Wenn du meinst«, erwiderte er, nicht ohne eine gewisse Freude darüber, dass er ihr so schlagfertig geantwortet hatte.
Er machte hier nicht nur aufgrund seiner neuen Hose eine ziemlich gute Figur, fand er.
»Ich sage das nicht nur so, um zu gucken, wie du reagierst, sondern weil ich es am Buch sehe, dass du lügst. Das hier ist nicht mein Buch. Ich hatte ausdrücklich nach meinem Buch verlangt, nicht nach irgendeinem Ersatz dafür.«
»Aber Fifufi!«
»Nenn mich nicht Fifufi!«
Die Schwester des Willkürherrschers wurde jetzt richtig wütend und sie holte tief Luft um einige Zeit am Stück reden zu können.
»Mein Buch hatte vorne am Deckblatt eine abgerissene Ecke. Dieses Buch hier ist aber einwandfrei. Schau!«
Sie hielt ihm das Buch übertrieben nah vor die Augen.
»Und du willst mir erzählen, dass das mein Buch ist, und es die ganze Zeit in deiner Schublade gelegen haben soll?«
Jamel sah, wie Spucke aus ihrem Mund flog. Ein kleines bisschen davon blieb neben ihrem Mundwinkel hängen. Jamel ekelte sich.
»Du hast da, dir hängt da«, er zeigte auf seinen Mundwinkel, um sie auf ihren Makel hinzuweisen, und schaute sie dabei angewidert an, »Spucke!«
Die Schwester des Willkürherrschers rieb sich mit Zeige- und Mittelfinger über ihre Wange.
»Weg?«
Jamel schaute prüfend.
»Ja.«
»Gut. Also, Jamel, sind wir uns einig, dass du mir nun einen Riesengefallen schuldest?«
»Im Grunde nicht«, versuchte Jamel seine Situation zu retten. »Du wolltest das Buch, und du hast das Buch.«
Jamel setzte sich neben sie.
»Versteh mich nicht falsch, es gibt Gefallen, die ich dir sofort gerne schulde«, er zuckte vielsagend mit der linken Augenbraue und wurde danach direkt wieder sachlich, »aber dieser Riesengefallen von dem du immerzu sprichst, der scheint mir, irgendwie so, naja, ich habe Angst davor.«
Die Schwester des Willkürherrschers wunderte sich über Jamels Vorstoß. Sie kannte ihn gar nicht so redselig.
»Ich will nicht wissen, wie du dich damit fühlst«, belächelte sie ihn. »Ich informiere dich hiermit darüber, dass du mir einen Riesengefallen schuldest. Und bevor du jetzt widersprichst, werde ich dir sofort sagen, worum es sich dabei handelt.«
Jamel blieb vor Angst fast sein Herz stehen. Er hatte diesen ganzen Tag nichts anderes gemacht, als dieses Buch zu besorgen. Er erinnerte sich gar nicht daran, wann er sich zuletzt so stark für eine Sache eingesetzt hatte. Und jetzt saß die Schwester des Willkürherrschers hier in seinem Wohnzimmer, immer noch angezogen, und konfrontierte ihn mit dem gleichen Ergebnis, das ihn auch erwartet hätte, wäre er einfach nur die ganze Zeit im Bett liegen geblieben. Das schien ihm unverhältnismäßig.
Die Schwester des Willkürherrschers stand auf und sah Jamel herrscherisch an.
»Du wirst jetzt die Stadtbevölkerung zusammentrommeln! Und zwar alle, die mit dem Willkürherrscher unzufrieden sind. Alle Stammtisch-Sprücheklopfer, die immer gegen den Willkürherrscher hetzen, alle Köpfe von geheimen Untergrundorganisationen, die gegen den Willkürherrscher sind und planen, ihn abzusetzen, ja, einfach alle, die den Willkürherrscher nicht länger ertragen wollen. Dafür hast du jetzt zwanzig bis dreißig Minuten Zeit. Sobald alle versammelt sind, stürmen wir gemeinsam das Schloss und verlangen vom Willkürherrscher seinen Rücktritt.«
Sie lächelte. »Und seine Macht soll er überschreiben auf«, sie nahm eine überhebliche Pose ein, »mich!«
Sie biss sich auf die Lippen. Sie hatte Jamel eigentlich nur sagen wollen, dass er die Leute auftreiben sollte, was als nächstes passieren würde, sollte er noch nicht wissen. Und erst recht nicht, dass sie plante, selbst an die Macht zu kommen.
Sie ärgerte sich, dass sie sich bei Jamel so vertraut fühlte, als könne sie mit ihm offener sprechen als mit manch anderem.
»Ich verstehe nicht ganz«, sah Jamel sie verwirrt an und Jamel verstand wirklich nicht, was die Schwester des Willkürherrschers gerade von ihm wollte. Von welchen Stammtisch-Sprücheklopfern und welchen Untergrundorganisationen redete sie da?
»Du brauchst es ja auch nicht zu verstehen. Du sollst einfach nur tun, was ich dir sage, weil das der Riesengefallen ist, den du mir schuldest. Verstehst du das? Und jetzt los, die Zeit
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