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Willküra (German Edition)

Willküra (German Edition)

Titel: Willküra (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Hodinka
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Gefühl, dass er mehr als je zuvor die Zusammenhänge des Staatenbundes endlich verstand.
    Es war ein sehr komplexes System. Eine Änderung an einer Stelle führte automatisch zu einer Änderung an einer anderen. Es war dabei wirklich schwer, alles zu bedenken und zu antizipieren, und somit schwer, alle zufrieden zu stellen und alles richtig zu machen.
    Natürlich unterliefen ihm Fehler. Er hatte zum Beispiel so viel Mittel wie möglich in die Entwicklung weiterer Staaten stecken wollen, weil es ihm eine wichtige Mission für die Zukunft der ERGA zu sein schien. Doch dabei hatte er nicht bedacht, dass die Entwicklung der Zwerge für das Gleichgewicht im Universum, oder anders gesagt, für den Erhalt der Unabhängigkeit der ERGA, mindestens so wichtig war. Wäre nicht jede Unternehmung durch Geld limitiert, hätte er sicher beide Entwicklungseinheiten gleichberechtigt ausstatten lassen. So war es aber nicht.
    Wie groß und komplex der Staatenbund der ERGA war, hatte er vor seinem Amtsantritt nur erahnt, und im Grunde erahnte er es auch jetzt immer noch nur. Aber immerhin überschaute er alles schon besser als zu Beginn.
    Alle einzelnen Staaten und in ihnen jede einzelne Mission hatte Befindlichkeiten, wollte bevorzugt werden, sah die eigenen Forderungen als die Wichtigsten an, und er hatte einfach keine Zeit, sich mit allem entsprechend zu beschäftigen.
    Natürlich hätte er die Produktion der Zwerge nie so schleifen lassen sollen. Und hätte er genügend Zeit gehabt, alle Fürs und Widers selbst zu durchdenken, dann wäre ihm dieser Fehler sicher auch nie passiert, aber er bekam von fähigen Zuarbeitern, zumindest hoffte er, dass sie fähig waren, ein Memo, von dem er aufgrund der Fülle der anstehenden Entscheidungen gerade mal die Überschrift lesen konnte, und wenn er zeitlich großes Glück hatte, noch ein, zwei dick gedruckte Punkte im Text darunter. Danach schon musste er unterschreiben, oder eben nicht.
    Es oblag also völlig dem Verfasser dieser Memos, wie er sich entscheiden würde. War die Überschrift geschickt formuliert, und dazu die passenden Punkte dick angestrichen, dann schien ihm die Entscheidung eindeutig und er unterschrieb.
    Gesandter 6574 schaute aus dem Fenster und schnaufte.
    Egal wie rein in Geist und Seele man hier als Gesandter anfängt, am Ende wird man durch die Macht des Geldes zerfressen. Selbst wenn man selbst es schafft, auf die Verlockung und die Geldwerten Angebote nicht einzugehen, so muss man sich als Gesandter den herrschenden Bedingungen anpassen. Kaum ein Gesandter wird es schaffen können, die Herrschaft des Geldes, des Marktes, der Großindustriellen und Großunternehmer zu brechen. Je größer der Staatenbund, desto unübersichtlicher wird es, weil es keine natürlichen Kontrollinstanzen mehr gibt. Keiner fühlt sich für irgendetwas anderes verantwortlich, als für das Füllen der eigenen Kassen.
    Wir sind deren Spielfiguren, dachte er. Und wenn es doch einer schafft, dann wird er eben zur Spielfigur der Bürger, die dann auch anfangen, ihre eigenen, plötzlich auftauchenden, dann auch absurden Ansprüche zu stellen. Wer spürt, dass er etwas bekommen kann, der hält die Hand raus, auch wenn er gar nichts braucht. Dann hat man eben nur das Blatt gewendet, nicht jedoch das eigentliche Problem gelöst.
    Gesandter 6574 schüttelte den Kopf.
    Unterm Strich bleibt nicht die Erinnerung an die herrschenden Umstände, die zu dieser oder jener Entscheidung geführt haben, sondern nur die Erinnerung an den Gesandten selbst – ob er versagt hat, oder nicht. Und meistens hat er versagt. Außer er schafft es, sich mit einer außergewöhnlichen Tat für immer ins Gedächtnis des Staates zu brennen.
    Das ging meist über einen großen Krieg oder über einen großen Frieden. Gesandter 6574 dachte noch mal kurz nach.
    Es hatte einmal einen Gesandten gegeben, Gesandter 2341, der hatte sich beliebt und für immer unvergesslich machen wollen, indem er allen Bürgern der ERGA ihre Schulden erlassen hatte. Er hatte argumentiert, dass man nicht nur Staaten Schulden erlassen solle, oder Banken hofieren, oder Großunternehmen solch positive Bedingungen einräumen, dass sie vom Finanzvolumen der Rettung eines kleinen Staates entsprach, sondern dass man den Bürgern ihre Schulden erlassen sollte. Denn wer im Kleinen die Ordnung hält, wird auch im Großen keine Unordnung haben. Er sei eben ein Bürgerfreund, und glaube an die Kraft jedes einzelnen Bürgers für das Wohl des Staates, und deshalb

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