Willküra (German Edition)
war erstaunt. Er hatte die Schwester des Willkürherrschers natürlich oft gesehen und auch ein paar Mal mit ihr gesprochen, aber dass sie solch eine schreckliche Person war, das hatte er nicht vermutet.
»Also, was willst du noch hier?«, fragte sie ungeduldig.
»Ich bin eigentlich gekommen, um den Willkürherrscher, also Taugtenichts XXII., um einen Gefallen zu bitten.«
»Du kommst zu spät!« lächelte Willküra ihn böse an.
»Da er nicht mehr da ist, möchte ich nun also Sie um diesen Gefallen bitten, Willküra«, verbeugte sich Gerolat leicht.
»Gefallen behagen mir nicht« sagte Willküra schnell und bestimmt. »Gefallen sind eine meist ohne Grundlage und ohne angemessene Gegenleistung eingeforderte Hilfe, die die um den Gefallen gebetene Person in die missliche Lage bringt, sich um ihren moralischen Wert und die Beziehung zum Gefallen-Erbitter Gedanken machen zu müssen, wenn sie diesen Gefallen zu tun ablehnen will.«
Willküra nahm Gerolat das leere Glas aus der Hand.
»Ein Befehl ist aus meiner Sicht die ehrlichere Variante. Sie stürzt keinen in diese moralischen Gewissensbisse.«
»Nun bin ich nicht in der Position, Ihnen Befehle zu erteilen, Willküra«, wandte Gerolat ein.
»Ebenso wenig bist du in einer Position, mich um einen Gefallen zu bitten«, lächelte Willküra ihn falsch an. »Aber nun trag ihn schon vor, deinen Wunsch, und hättest du von Anfang an gesagt, dass du einen Wunsch hast, anstelle von Gefallen, hätten wir uns einen großen Teil unseres Geredes sparen können. Denn einen Wunsch erfüllt jeder gern, wenn er kann, das hinterlässt ein gutes Gefühl in einem. Ein besseres auf jeden Fall, als wenn man einen Gefallen tut. Da wartet man nämlich, und das meist vergeblich, auf eine angemessene Gegenleistung. Und Warten ist einer der abscheulichsten Zustände, in denen man sich befinden kann. Und nun sprich, meine Neugier hilft dir soeben weiter.«
Gerolat wusste, dass er sich jetzt beeilen musste.
»Es handelt sich um ein Buch, das der Willkürherrscher wohl versehentlich aus den Buchhandlungen hat eliminieren lassen«, beeilte sich Gerolat. »Und ich hätte den Wunsch, dass dieses Buch wieder in die Buchhandlungen kommt und dort verkauft werden darf.«
Er versuchte, so schnell wie möglich und ohne Pause alle Informationen unterzubringen, aus Angst, Willküra würde ihn wieder unterbrechen und seinen Wunsch nicht mehr zu Ende aussprechen lassen. »Es heißt ‚Die Geheimnisse der unbewussten Handlungen und die Erklärungen ihrer‘.«
»Ach, das Buch kenne ich«, antwortete Willküra, die stark damit beschäftigt war, sich nicht anmerken zu lassen, wie erstaunt sie darüber war, dass Gerolat dieses Buch nun nicht nur ansprach, sondern auch noch ein starkes Interesse daran zu haben schien.
»Warum ist es denn dein Wunsch?«
»Nun.«
Gerolat überlegte, wie viel er Willküra sagen sollte.
»Um es so kurz wie möglich zu fassen, denn ich möchte Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, Willküra«, Gerolat verbeugte sich bei diesem Einschub erneut leicht, um seine Untergebenheit vor ihr zu unterstreichen, was Willküra sehr gut gefiel, »ich könnte aus den Verkaufserlösen und anderen Rechteverwertungen sehr gut leben. Deshalb.«
»Diesen Wunsch werde ich dir nicht erfüllen«, entschied Willküra. »Aber ich schlage dir einen Handel vor. Zieh dich an, wir können hier nicht ewig stehen bleiben.«
Sie ging aus der Tür. Gerolat stolperte so schnell er konnte in seine Hose, zog sein Hemd über und holte sie kurz vor der Großen Treppe ein. Sie redete mit dem Blick in den Regierungssaal, ohne Gerolat anzusehen.
»Zufällig ergibt es sich, dass ich genau von diesem Buch ein Exemplar besaß, das mir abhanden gekommen ist. Ich brauche es jedoch dringend zurück. Wenn du mir mein Exemplar besorgst und zurück bringst, bekommst du eine lebenslang gültige Eintrittsgenehmigung zum Willkürherrschaftlichen Schloss und«, sie drehte sich nun zu ihm und lächelte ihn verwegen an, »ich gebe dir dafür so unvorstellbar viel Geld, dass es dir egal sein kann, ob dieses Buch jemals in die Buchhandlungen zurück kommen wird.«
Gerolat wurde nervös. Wie und wo sollte er bloß an ihr Buch kommen, fragte er sich. Doch die Vorstellung von unvorstellbar viel Geld, und das damit zwangsläufig verbundene Glück, mit der Kursleiterin zukünftig sorglos leben zu können, verschleierte den nüchternen Gedanken, der nach der realistischen Realisierbarkeit der Aufgabe fragte.
Gerolat
Weitere Kostenlose Bücher